Montag, 7. April 2008

Bei uns ist's viel wärmer als in Deutschland

Jemand von meinen Mitbewohnern hat mir erzählt, am Wochenende hätte es in Deutschland geschneit. Also bei uns ist der Winter schon richtig weit weg. Gestern war Rekordwetter, der wärmste 6. April, den es in Moskau je gab. Es hatte 19 Grad, das ist eigentlich viel zu warm für Anfang April (Klimawandel lässt auch in Russland grüßen). Es fangen sogar die Blumen an zu blühen, und auf vielen Wiesen beginnt das Gras zu wachsen. Unpraktisch nur, dass ich meine Winterjacke anziehen muss – eine andere habe ich nämlich nicht.

Sonntag, 6. April 2008

Wer sich engagiert, der fliegt!

Über die unmöglichen Zustände an der Soziologie-Fakultät der MGU wollte ich schon länger einen Eintrag haben, kam aber nicht zu. Nun gibt es einen guten Artikel in der Berliner Zeitung:

Berliner Zeitung, 2.4.2008

Rechtgläubige Soziologie
Das Schicksal eines Studentenprotests in Moskau
Christian Esch

Der Sozialismus ist untergegangen, die Soziologie lebt. Und wie! Das Aschenputtel unter den Fächern der Sowjetzeit verkauft sich im neuen russischen Kapitalismus ganz ausgezeichnet. Jedenfalls gilt das für die Soziologische Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität: Die Studenten dort, erklärt Swetlana Jerpyljowa, seien "reich und nicht besonders schlau, weil man da über Beziehungen und Bestechung reinkommt."

Swetlana hat selbst dort studiert, bis sie vor zwei Wochen mit drei anderen aufsässigen Studentinnen zwangsexmatrikuliert wurde. Vergangene Woche stand die 19-Jährige, zitternd vor Kälte, vor dem U-Bahnhof "Universität" - vor sich eine Meute von Journalisten mit Fernsehkameras, denn ihr Fall hat in Russland Wellen geschlagen, und hinter sich ein kläglich kleines Häuflein von Unterstützern, die nicht wie die Jeunesse Dorée Moskaus wirken. Es sind zwei Dutzend, die Transparente hochhalten und wacker Sprechchöre versuchen: "Exmatrikulier' Dich selbst, Dobrenkow!"

Wladimir Dobrenkow ist der Dekan der Soziologischen Fakultät, seit es diese gibt: seit dem Jahr 1989. Seiner eigenwillig-geschäftstüchtigen Herrschaft ist es zu verdanken, dass in einem Land, das Studentenproteste bisher so gut wie gar nicht kennt, eine kleine Rebellion in die Medien kam. Es gehe denen um nichts weniger als den Versuch, an der renommiertesten Universität des Landes den Keim einer Orangen Revolution zu pflanzen, behauptet der Dekan, der fest im Lager der orthodoxen Nationalisten steht; der sich als Feind westlicher Werteverhöhnung und Fürsprecher einer "rechtgläubigen Soziologie" gibt. Nein, sagt die Studenteninitiative "OD Group": Es geht um nichts anderes als den Versuch, die Qualität der Lehre zu heben.

Zwei Euro für eine Tasse Kaffee

Der Streit begann vor einem Jahr mit einer kleinen Flugblattaktion gegen die Kantinenpreise - umgerechnet zwei Euro kostete die Tasse Kaffee dort, bezahlbar nur für die "Maschory", die Kinder reicher Eltern. Der Gewinn floss laut Studenten in die Taschen des Sohnes des Dekans (was dieser allerdings abstreitet). Erst dann weitete sich der Protest auf die Lehre aus: Zeitgenössische Autoren würden gar nicht abgehandelt, verwendet bloß jene "inhaltslosen" Lehrbücher, die der Dekan mit seinem ständigen Koautor A. Krawtschenko verfasst, genauer: von anderen abgeschrieben hat. Auf der Webseite der Studenteninitiative sind Passagen der Lehrbücher von Dobrenkow und Krawtschenko (Spitzname: Internetschenko) als Plagiate entlarvt.

Hinzu kommt noch, dass Dobrenkow offenbar die Quote der gewinnbringenden zahlenden Studenten drastisch erhöht hat, so dass der Platz im Gebäude nicht reicht. Eine Lüftung gibt es hier nicht, dafür eine lückenlose Überwachung durch elektronische Drehkreuze und Videokameras.

Zuspruch von hoher Stelle

Dass die jungen Studenten - oder jene winzige aktive Minderheit unter den Kommilitonen, die man auf Demonstrationen findet - die Stirn haben, öffentlich über die wissenschaftliche Befähigung der Dozenten zu urteilen, ist eine empfindliche Verkehrung der Machtverhältnisse. Die Studenten haben Zuspruch von hoher Stelle erhalten: Bekannte russische Soziologen wie Tatjana Saslawskaja unterstützen sie, aber auch Soziologen aus dem Ausland wie Michel Wieviorka und die Russische Soziologische Gesellschaft. Die Gesellschaftskammer, ein von Wladimir Putin eingesetztes Gremium der Zivilgesellschaft, hat eine Expertenkommission eingesetzt, deren vernichtender Bericht im Dezember 2007 alle Vorwürfe bestätigte. Er fügte hinzu, einige der an den Lehrstühlen als beispielhaft ausgestellten studentischen Abschlussarbeiten seien "stark ideologisch gefärbt im Sinne der Intoleranz gegen andere Kulturen". Auch der chauvinistische Politiker und Parteichef Wladimir Schirinowski hat hier ja 1998 seinen späten Doktortitel erworben, mit einer Arbeit zum Thema "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Russischen Nation".

Im Dekanat gibt man sich allerdings unerschüttert. Die Studenten seien zum Urteil über das wissenschaftliche Niveau nicht befähigt, andere Forscher "zutiefst subjektiv motiviert", befindet der Presseassistent des Dekans, Wladimir Minkewitsch. Die riesige Mehrheit der 2700 Studenten sei völlig zufrieden. Und die kritischen Studentinnen seien nicht wegen ihrer Kritik exmatrikuliert worden, sondern weil ihre akademischen Leistungen nicht genügt hätten. Swetlana Jerpyljowa hat, wie eine Mitstreiterin, sämtliche vorangegangenen Zeugnisse ins Internet gestellt: Fast überall steht "Ausgezeichnet", die Bestnote. Die schlechte Abschlussnote des dritten Jahres sei ihr nicht begründet worden.

Ob sie Angst hatte, als sie sich in OD-Gruppe einreihte? Die Mehrzahl der Mitglieder gibt ja noch nicht mal ihre Identität preis. "Ja, im ersten Halbjahr hatte ich Angst, obwohl ich gar nicht weiß wovor - ob vor der Reaktion der anderen Studenten oder vor den Maßnahmen des Dekans." Dann habe sie die Angst verloren. Mit der Angst ist nun aber auch der Studienplatz verloren gegangen. Swetlana versucht jetzt, an eine andere Hochschule zu wechseln. Dobrenkow bleibt Dekan, und Kapitalismus und orthodoxe Soziologie können einander weiter bereichern.

Die Proteste sind der Keim einer Orangen Revolution, sagt der Dekan. Es geht um die Qualität der Lehre, sagen die Studenten.

So ziemlich der Hammer, oder? Da kann man sich so richtig aufregen. Welch ein Paradies sind doch im Vergleich dazu deutsche Hochschulen, wo sich die Studierenden für das einsetzen können, was ihnen wichtig ist [Auch für die Huldigung von Rektoren, so wie der RCDS in Freiburg, haha, kein Aprilscherz]. Ebenso zeigt dieser Vorgang jedoch, dass sich auch in Russland junge Leute nicht alles bieten lassen und sich für ihre Rechte einsetzen.

Wer noch mehr darüber wissen will:

Meerschweinchen im Park

Wir laufen durch den Park von der Metro nach Hause. Da kommt eine Frau mit ihrem kleinen Hündchen vorbei. Dazu Tiina: "Schaut mal, da führt wieder jemand sein Meerschweinchen spazieren."

Sozialarbeiter ohne Soziale Arbeit

An unserer Uni gibt es etwas Eigenartiges. Zwar studieren hier ein paar Hundert Leute das Fach Soziale Arbeit, die Mehrheit aber will im Anschluss gar nicht als Sozialarbeiter arbeiten, sondern irgendeine andere Tätigkeit ausüben. Der Grund ist vielfach sehr einfach. Im sozialen Bereich in Russland kann man als MitarbeiterIn nur ziemlich wenig Geld verdienen. Anzutreffen ist auch immer wieder eine sehr schwach ausgeprägte Motivation. Auf die Frage, warum er das studiere, antwortete uns ein Student einmal: „Weiß ich nicht. Ich studiere halt in Moskau.“ Irgendwie fnde ich das reichlich sonderbar. Da beschäftigen sich alle mit Sozialarbeit, aber danach umsetzen will es keiner.

Gestern haben wir aber zum ersten Mal jemanden getroffen, der im sozialen Bereich arbeitet, obwohl er nicht einmal Sozialarbeiter ist. Igor war an der Landwirtschaftsakademie und hat dort Pädagogik gelernt. Bei einem Betriebspraktikum in der Nähe von München hat er vor mehreren Jahren therapeutisches Reiten entdeckt. Daraufhin hat er in Moskau nach der „Ippoterapija“ gesucht und dort angefangen zu arbeiten. Im Moment schreibt er darüber seine Dissertation. In die Therapie kommen ganz unterschiedliche Leute, hat er uns erzählt. Psychisch Kranke, Menschen mit Down-Syndrom, Autisten. Man hat richtig gemerkt, dass ihm dieser Job Spaß macht. Leider sei diese Art von Therapie in Russland noch nicht sehr entwickelt. In Deutschland gebe es etwa 10 mal so häufig. Aber es würde in Russland immer mehr zunehmen.

Diesen Eindruck habe ich hier, zumindest in Moskau, immer wieder. Zwar liegt im sozialen Bereich vieles im Argen, aber es gibt stetige Verbesserungen, was die Weiterentwicklung von Strukturen und die Finanzierung betrifft. Schwieriger wird es bei der Wahrnehmung innerhalb der Gesellschaft. Denn oft werden Menschen, die sowieso schon am Rande stehen, noch weiter ausgegrenzt. Sei dies bei Obdachlosen, bei Psychisch Kranken oder bei Menschen mit Behinderung. Mit denen will man nix zu tun haben. Vieles ist bestimmt eine Folge der Sowjetunion, wo solche Probleme einfach in irgendwelche verlotterten Heime auf dem Land abgeschoben wurden, so dass der Durchschnittssowjetbürger überhaupt nichts davon mitbekommen hat. Mit solchen Menschen war man nie konfrontiert. Und was man nicht kennt, das lehnt man ab. Aber bis zur Integration in die Gesellschaft ist es noch ein weiter Weg.

Freitag, 4. April 2008

Sowjetwitz des Tages VIII: Karl Marx im Radio

Karl Marx wünscht, in der UdSSR im Radio aufzutreten.
„Obwohl Sie der Begründer des Kommunismus sagt,“ sagt ihm Breschnew, „kann ich eine solch wichtige Frage nicht alleine entscheiden. Wir haben ja eine kollektive Führung.“
„Ich werde nur einen Satz sagen!“
Breschnew entscheidet, dass er für nur einen Satz die Verantwortung übernehmen könne.
Marx tritt ans Mikrophon und ruft: „Proletarier aller Länder, vergebt mir!“
--
Карл Маркс захотел выступить в СССР по радио.
- Хучь вы и комунисиський основоположник, - сказал ему
Брежнев, - я не могу единолично решить такой важный вопрос. У нас
коллективное руководство.
- Я скажу только одну фразу!
Cказать одну фразу Брежнев разрешил под свою ответственность.
Маркс подошел к микрофону и прокричал:
- Пролетарии всех стран, простите меня!

Büchertips

Was macht man in Moskau, wenn man eine halbe Stunde mit der Metro in die Stadt fährt? Man liest. Schon als ich vor 4 Jahren in Moskau war, habe ich die Metro dafür geliebt, dass ich endlich Zeit hatte, Bücher zu lesen. Schließlich braucht man da ja nicht mehr dazu als ein Taschenbuch, das man sich einfach in die Jacke steckt und mit einer Hand halten kann.

Neben diversen Zeitschriften habe ich bis letzte Woche Wladimir Sorokins День опричника („Der Tag des Opritschniks“) gelesen. Eine Antiutopie von Russland im Jahr 2028, bei dem an der Westgrenze eine große Mauer hochgezogen wurde, um Russland vor dem sündhaften Ausland zu beschützen. Erzählt wird der typische Tagesablauf eines typischen Opritschniks, eines Mitarbeiters der Opritschnina. Unter Zar Iwan IV. (=Grosnyj = der Schreckliche) war das so eine Art private Geheimpolizei des Zaren, die dessen persönliche Aufträge ausführte und einen Staat im Staate bildete. Auch 2028 gibt es wieder einen Zaren (den großen Gosudar), der uneingeschränkt über die Große Rus’ herrscht und mit seiner Weisheit und seiner Mildtätigkeit alle Menschenkinder beglückt. Die Opritschnina der Moderne ist dafür zuständig, seine wunderbare Politik durchzusetzen und alle, die sich dem Allgemeinwohl in den Weg stellen, zu entfernen. Dabei geht es ziemlich derb zu, es werden Drogen konsumiert, Menschen ermordet und Frauen vergewaltigt. Spannend ist das Buch deshalb, weil viele Tendenzen der Gegenwart in die Zukunft weitergedacht werden. Manchmal überzeugend, manchmal eher nicht. Jedenfalls interessant. Sorokin selbst äußert sich zu seinem Werk, er habe damit ein politisches Buch schreiben wollen, denn praktisch könne sich nur noch die Kunst Meinungsfreiheit leisten.

Jetzt lese ich aber was anderes, von Ruben David Gonzalez Gallego Белое на Черном („Weiß auf Schwarz"), 2003 mit dem Booker, einem der bekanntesten russischen Buchpreise, ausgezeichneten Buch. Darin beschreibt Gallego seine Kindheit in sowjetischen Kinderheimen – als behindertes Waisenkind. Die Sprache ist ziemlich einfach und doch kraftvoll (Wer Russisch lernt und noch nie ein russisches Buch gelesen hat – damit kann man gut anfangen!). Die Zustände in der Kinderheimen der Sowjetunion waren ziemlich menschenunwürdig und würden uns total erschrecken. Anstatt aber zu versuchen, Mitleid für sein eigenes Schicksal und das anderer zu erzeugen, schreibt Gallego, er wolle nur die positiven Seiten zeigen. Denn schließlich seien Kinder, die ihre Arme und ihre Beine nicht bewegen können und unter widrigen Umständen überleben, Helden. Von diesen Helden erzähle er. Ein tolles Buch, lohnt sich auf jeden Fall. Besonders für Sozialarbeiter ;-)

Alles voll

Gerade weiß ich überhaupt nicht, wo mir der Kopf steht. Seit letzter Woche gibt es plötzlich ein riesiges Aufkommen an Hausaufgaben, es gibt so richtig viel zu tun. ein Forschungsprogramm entwickeln, Texte auswerten, Russisch-Vokabeln, Wörter für ein Wörterbuch sammeln, mit MS Access (echt benutzerunfreundliches Programm – selbst Lotus Notes ist da besser) eine Datenbank erstellen, PowerPoint-Präsentation, und dann noch 6 Tage in der Uni Veranstaltungen. Aber immerhin macht es Spaß.

Leider leidet der Blog ziemlich darunter, dass ich plötzlich ein so großes Aufkommen an Prioritäten habe. Dabei habe ich eigentlich so eine große Liste von Themen, über die man lohnend schreiben könnte...

Donnerstag, 27. März 2008

Werben Sie für Milchprodukte!

So werden in Moskau Studentenjobs gesucht [Hinweis: In Moskau gibt es einen Mangel an Arbeitskräften in praktisch jeder Sphäre.]:

Die Firma IMS lädt Sie ein, am neuen Projekt des weltweit größten Herstellers für MILCHPRODUKTE teilzunehmen!!!

Sie haben die perfekte Gelegenheit, eine Arbeit für den Sommer zu bekommen und mit Freund oder Freundin zusammen zu arbeiten!!!

Wir laden Sie ein, an einer tollen, sommerlichen, strahlenden, fröhlichen Aktion teilzunehmen!!!

Zeitplan: Donnerstag, Freitag, 16.00-20.00 und Samstag, 11.00-14.00.

Bezahlung: 1-2 Wochen 3,8$ pro Stunde, 3-4 Wochen 4,2$ pro Stunde

Arbeitsplatz:
Moskauer Supermärkte

Art der Tätigkeit:
Sie tragen die sehr grellen und schönen Verkleidungen der Helden unseres Produktes.

Unsere Anforderungen:
Junge Frauen und Männer ab 16 Jahre, Kleidergröße bis 46, mind. 165cm groß, Medizinischer Ausweis.

Melden Sie sich für ein Bewerbungsgespräch unter Telefon 933-09-41


Wer hat Lust?

Kleinigkeiten: Ein Metroeingang

Russland war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Mekka für Architekten. Viele tolle Gebäude und Architekturdenkmäler sind in dieser Zeit entstanden. Nicht nur Stalins Zuckerbäckerstil, sondern auch der Konstruktivismus hat hier ein Zuhause.

Ein tolles Beispiel ist das südliche Vestibül der Metro-Station "Krasnye Vorota" (ohne viel Ahnung zu haben - ich glaube, es ist konstruktivistisch):

Dienstag, 25. März 2008

Bürokratie wegen 5 Rubel

Gerade konnte ich wieder ein typisches Beispiel für Bürokratie in Russland erleben.
Folgende Situation: Ich musste zwei Dokumente ausdrucken. Die einzige Möglichkeit in der Uni ist hierzu die „elektronische Bibliothek“ in Korpus 3. So heißt hier der Raum mit Drucker und Internetzugang (Kostenpunkt für 1 Stunde Internet: 50,- Rubel = 1,30 EUR). Dort wendet man sich an den „Konsultant“ (eine Frau), gibt ihr seinen USB-Stick, und sie druckt es aus.

OK, das klingt noch normal. Jetzt kommt aber die Bürokratie ins Spiel: Bezahlen kann man in der Elektronischen Bibliothek nämlich nicht. Das muss man bei der Unikasse machen, für die der Konsultant einen Zettel ausfüllt. Diese Woche ist die Kassiererin in Korpus 3 jedoch krankgeschrieben, deshalb muss man zur Kasse in Korpus 3. Der Kasse vorgeschaltet ist die Buchhaltung, die eine extra Zahlungsanweisung verfasst, damit man damit dann bei der Kasse bezahlen kann. Der Amtsschimmel wiehert kräftig: Wieso gibt es nicht einfach eine kleine Kasse in der Elektronka? Wenn man nur 1 Seite (= 5,- Rubel = 13 Cent) ausdruckt, müssen dafür drei Personen in Bewegung gesetzt werden.

Also machte ich mich auf den Weg Richtung Korpus 3. Wie es immer ist, wenn man sich beeilen muss (die Elektronische Bibliothek sollte 15 Minuten später schließen), stand vor der Buchhaltung eine lange Schlange, die sich nur langsam vorwärtsbewegte. OK, dann gibt es heut halt keinen Ausdruck. Toll, die Bürokratie hat mal wieder gesiegt.

In der Elektronka meinte ich nun, ich könne heute nicht mehr bezahlen: „Dann bringen Sie uns halt morgen die Bestätigung, dass sie bezahlt haben. Ihre Ausdrucke können Sie schon mitnehmen.“ Der/die Konsultant war also alles andere als bürokratisch. Sie hätte einfach sagen können: Dann gibt es keinen Ausdruck! Stattdessen vertraute sie mir einfach, dass ich morgen bezahle. Echt nett!

Typisch Russland: Auf der einen Seite die Komplexität eines unverständlichen bürokratischen Systems, bei dem es vor allem darum geht, ja keine Kompetenzen an andere Leute abzugeben und selbst alles zu kontrollieren. Auf der anderen Seite die fehlende Durchsetzung; es gibt ganz viele Regeln, aber am Ende kann man sie dann doch umgehen. Leider funtioniert so kein Rechtsstaat, und Erwartungssicherheit wird auch nicht geschaffen: Gilt das, was heute gilt, auch morgen? Kann ich mir sicher sein, dass ich das, was mir zusteht, auch bekomme? Kann ich überhaupt im Voraus planen?

trocken oder nass?

Plötzlich fragen mich heute alle meine Mitbewohnerinnen mit einem Balkanakzent, ob ich mich trocken oder nass rasiere. Sonderbar, irgendwas scheinen die mit mir vorzuhaben...

Wir sind in den Nachrichten

Letzten Freitag hat übrigens die deutschsprachige Nachrichtenseite aktuell.ru einen Bericht über unseren Studiengang verfasst. Viel Spaß beim Lesen: der Artikel.

Sowjetwitz des Tages VII: Den Kommunismus im Blick

[Hinweis: Die UdSSR verstand sich als sozialistisches System, in dem gemeinsam der Kommunismus gebaut wird. Dieser sollte die Vollendung des gesellschaftlichen Aufbaus sein und diente als Rechtfertigung: Heute müssen wir uns einschränken, damit uns in Zukunft der Kommunismus (=Paradies) erwartet.]

Bei einer Vorlesung sagt der Dozent, der Kommunismus sei schon am Horizont zu sehen. Daraufhin wird er gefragt: „Was ist das eigentlich, der Horizont?“
Antwort: „ Das ist eine gedachte Linie, an der sich Himmel und Erde berühren und die sich von uns entfernt, wenn wir uns ihr zu nähern versuchen.“
--
Лектор говорит, что коммунизм уже на горизонте. Ему - вопрос:
- А что такое горизонт?
- Это воображаемая линия, в которой небо сходится с землей и которая удаляется от нас, когда мы пытаемся к ней приблизиться.

Zwei Seiten der Medaille

Michail Gorbatschow hat einen offenen Brief „An meine Freunde, die deutschen Journalisten“ geschrieben. Darin geht es um die Russland-Berichterstattung in deutschen Medien. Diese verbreite oft zu negative einseitige Bilder und erzeuge bei vielen Russen das Gefühl, von Deutschland nicht gemocht zu werden. Im Sinne der gegenseitigen Verständigung sei dies ein Hindernis.

Über Russland zu berichten ist nicht einfach. In der Tat geschehen hier sehr viele Dinge, die aus unserer westlichen Perspektive und auch aus Perspektive vieler Russen zu kritisieren sind. Hinzu kommt, dass einem als Auswärtigen vor allem diejenigen Dinge auffallen, die ungewohnt sind und mit denen man zu kämpfen hat. Beispiel: Bürokratie. Und tatsächlich sind viele Dinge auf ein fehlendes Demokratieverständnis bei den Eliten und in der Gesellschaft zurückzuführen.

Was Gorbatschow auch sagt: Wer hauptsächlich Negatives schreibt, der liebe Russland nicht. Dem stimme ich nicht zu. Denn oft ist es sogar andersherum. Gerade weil dieses Land vielen russischen und westlichen Journalisten nicht egal ist, prangern sie die Dinge an, die ihnen weh tun.

Auch sonst kann hier einem wirklich viel auf den Keks gehen: Wer steht schon gerne 30min in der Schlange bei der Post, um zu hören, der Schalter mit den Briefmarken habe heute nicht geöffnet. Das ist aber kein Zufall, sondern das chaotische System der russischen Post.

Hier gibt es vieles Positives und Negatives, Schönes und wenig Schönes. Beides sollte in dem vorkommen, was man von Russland schreibt. Ich habe den Eindruck, dass die meisten das zu tun versuchen. Was man als Mensch aus dem „Westen“ auf jeden Fall nicht haben sollte: Überheblichkeit. Denn: 1) Bei uns ist auch nicht alles Gold, was glänzt, 2) muss man Entscheidungen und Handlungen immer im Kontext sehen. Was wäre denn, wenn Putin ein lupenreiner Demokrat wäre? Dann wäre er trotzdem von seinem Umfeld abhängig und würde wohl von diesem abserviert.

Fazit: Vieles in Russland hat eine Vorder- und eine Rückseite. Wir sollten beide Seiten der Medaille betrachten.

Mittwoch, 19. März 2008

Sowjetwitz des Tages VI: Die deutsche Teilung

„Was hat Deutschland von Marx geerbt?“
„Der Osten Deutschlands hat das kommunistische Manifest geerbt, der Westen das Kapital.“
--
- Что унаследовала Германия от Маркса?
- Восточная - Коммунистический манифест, западная - капитал.

Dankeschön!

Es gibt zwei Leute, denen ich heute besonders dankbar bin:

Erstens hat mir Viki ein ganz tolles Paket aus Deutschland geschickt. Nach 5 Wochen – es lebe der deutsch-russische Postverkehr – war das Paket endlich da. Jetzt habe ich endlich richtige Stiefel für dieses Matschewetter (die alten Stiefel waren beim Hinflug kaputtgegangen). Außerdem waren meine Joggingschuhe dabei. Auf dem Unicampus und im Kuskowo-Park kann man damit bestimmt richtig gut joggen.

Zweitens Natalka, die in der Küche Gitarre gespielt und Lieder von Zemfira und aus dem Pionierlager gesungen hat. Unsere langweilige Küche war plötzlich voller Atmosphäre. Das war ein toller Tagesabschluss.
Dankeschön!

Montag, 17. März 2008

Sowjetwitz des Tages V: Meinungsfreiheit

„Bei uns gibt es Freiheit“, sagt der Amerikaner, „ich kann auf die Straße gehen und rufen ‚Nieder mit Reagan!’“
„Du wirst staunen!“, sagt der Russe, „auch ich kann auf die Straße gehen und rufen ‚Nieder mit Reagan!’“
---
– У нас свобода, - говорит американец. – Я могу выйти на улицу и кричать "долой Рейгана!"
– Подумаешь! - говорит русский. – Я тоже могу выйти на улицу и кричать "долой Рейгана!"

Russischer Frühling

Seit einer knappen Woche ist hier in Moskau Frühling. Nun ja, es ist ein eher russischer Frühling: Die Temperaturen steigen auf Plusgrade, der Schnee schmilzt so langsam, und alle Gehwege versinken im Matsch. Die Folge: Man muss genau schauen, wo man hinläuft, und trotz diverser Umwege sind die Schuhe am Schluss in ein schönes Spritz-Braun getaucht.

Auch sonst hat man wenig vom Frühling. Die allgemeine Farbe wechselt von weiß-grau auf braun-grau, die Farbe Grün ist praktisch nirgends zu sehen. Auf Blumen muss man ebenfalls noch wochenlang warten.

Auf den Frühlingsbeginn gibt es zwei unterschiedliche Reaktionen: Gruppe Nr.1 (dazu gehöre auch ich) sagt: „Wir wollen den Winter zurück!“ Klappt leider nicht. Gruppe Nr.2 hingegen jubelt: „Endlich ist der Winter zu Ende!“ Und was hat man davon? Nichts. Also bleibt nur eine dritte Position: Sich darüber freuen, dass irgendwann Ende April der richtige Frühling mit grünen Wiesen und blühenden Bäumen kommt. Vorfreude ist ja schließlich die schönste Freude.

Sonntag, 16. März 2008

Typisch Moskau: Die Metro

Mein absoluter Liebling in Moskau ist die Metro. 12 Linien auf 290 Kilometern, 9 Millionen Fahrgäste am Tag. Im Schnitt fährt also fast jeder Moskauer einmal am Tag Metro.

Neuer Metroeingang - und noch immer schreiben sie drauf "Lenin"-Metro.

Was so toll an der Metro ist:
  • In anderen Ländern braucht man Fahrpläne – in Moskau fährt die Bahn zur Stoßzeit alle 90 Sekunden. Man muss also praktisch nie warten!
Auf dem Bahnsteig
  • Jede Station ist anders ausgestaltet, oft verbergen sich unter der Erde wahre Paläste, mit Kronleuchtern und Gemälden an den Wänden. Viele Stationen sind bestimmten Themen gewidmet. Am „Platz der Revolution“ stehen Statuen von sozialistischen Helden und Revolutionären, an der „Mendelejewskaja“ sehen die Lampen aus wie Moleküle, oder an der „Kiewskaja“ sind Mosaike mit ukrainischen Szenen zu bewundern.
Einstieg unter Kronleuchtern

Ukrainische Traktoristenbrigade

"Ukrainer beim Spaziergang"

  • Die Metro ist Geschichte. Nachdem 1935 die ersten Stationen eröffneten, errichtet von bis zu 75.000 Arbeitern, wurden im Anschluss alle paar Jahre neue Linien eingeweiht und verlängert. Schon alleine an der Architektur kann man die verschiedenen Epochen erkennen. Waren es unter Stalin noch die „Kathedralen des Sozialismus“, wurde in den 60er und 70ern ziemlich langweilig gebaut. Heute dagegen muss wieder alles blinken und blitzen.
"Ehre den heldenhaften Matrosen!"

  • Die Metro arbeitet unheimlich effektiv. Erst sie erlaubt der Stadt die ihr innewohnende Dynamik. Man ist ziemlich schnell am anderen Ende der Stadt (tagsüber schneller als mit dem Auto – da steht man im Stau). In jeden Zug passen Hunderte von Menschen, im Vergleich zu den Deutschen können sie sich richtig quetschen. Trotz der enormen Beanspruchung der Technik geht praktisch nie etwas kaputt, es passiert nie, dass irgendwo ein Teilstück außer Betrieb genommen wird und die Leute auf Busse umsteigen müssten.
Umsteigen - Übergang zwischen zwei Stationen

Alles voll!
  • Fährt man mit der Metro, kann man innerhalb von kurzer Zeit Hunderte von Menschen beobachten. Man bekommt einen guten Querschnitt über die Vielfalt an Menschen, die in dieser Megastadt so leben.
Im Waggon (nur zu 50% gefüllt)
  • Vor allem die Innenstadt ist gut mit der Metro erschlossen. An jeden Punkt im Zentrum kommt man mit der Metro + max.10min Laufen.
Und hinein geht's ins Loch!
  • Mit den Fahrkarten ist es ganz einfach. Man kauft sich ein Ticket für 10 oder 20 Fahrten und muss damit durch eine Schranke, an die man das Ticket einfach ranhält. So lange man nun im Metrosystem drin bleibt, muss man nichts mehr bezahlen. Zur nächsten Station zu fahren ist also genauso teuer wie ans andere Ende der Stadt.
Eine der langen Metrorolltreppen

Übrigens: Unsere Station, „Wychino“, 20 Gehminuten von der Uni entfernt, ist die Station mit dem höchsten Passagieraufkommen im gesamten Netz. 2002 wurden 174.000 Fahrgäste pro Tag gezählt. Kein Wunder – auf dem Stadtplan sind über 60 Buslinien verzeichnet, die hier ihre Endhaltestelle haben.

Busse und Marschrutkas in Wychino

Britisch anmutende Warteschlange

Dienstag, 11. März 2008

Der vergessene Putin

Leider wurde Wladimir Wladimirowitsch gestern abend einfach mitten in Moskau vergessen. So musste er ganz alleine schauen, wie er nach Hause kommt.
Aber seht selbst:

Sonntag, 9. März 2008

Journalismus in Russland: Staat vs. Meinungsfreiheit

Ein Freund, nennen wir ihn Wassilij, arbeitet seit einem guten halben Jahr bei der russischen Wochenzeitung The New Times. Dieses Magazin ist nicht irgendeine Publikation, sondern wurde Anfang 2007 als bewusst oppositionelles Zeitung gegründet. Beim Durchblättern fällt die kritische Haltung gegenüber dem Kreml sofort ins Auge. Auf den zweiten Blick freut man sich außerdem über die praktisch völlige Abwesenheit von Werbung. Kein Zufall – diese für den Leser angenehme Eigenschaft liegt eben in der Positionierung des Blattes: Firmen, die hier für sich werben würden, müssten mit negativen Konsequenzen rechnen. Als nach den ersten Wochen klar war, worüber die Zeitung schreibt, gingen alle Werbekunden möglichst schnell wieder von Bord. Ohne Werbung ist die Finanzierung einer Zeitung jedoch ziemlich schwierig. Weshalb Wassilij weniger verdient als Kollegen bei anderen Publikationen.

Der ökonomische Druck ist jedoch nicht der einzige Weg der Gängelung:
Da darf die Wassilijs Kollegin Natalja Morar, welche im Dezember einen Artikel über die verdeckte Parteienfinanzierung durch den Kreml verfasst hat, nicht mehr ins Land einreisen. Sie hat die moldawische Staatsbürgerschaft und stellt laut Geheimdienst FSB eine Gefährdung für die staatliche Sicherheit dar [erinnert das nicht an die CIA-Verschwörungen in amerikanischen Filmen?]. Sogar nachdem sie ihren russischen Freund geheiratet hat, wird ihr die Einreise verweigert! Familienzusammenführung auf russische Art.
Da lungern ständig zwielichtige Gestalten vor Redaktion herum und jagen den Besuchern Angst ein. Die Polizei fühlt sich nicht zuständig.
Da werden Redakteure auf dem Weg von der Arbeit nach Hause verfolgt. Wassilij berichtete, dass er mittlerweile regelrecht unter Verfolgungswahn leide und aus Nervosität viel mehr rauche.
Da wird Druck auf Kioskbetreiber ausgeübt, die Zeitung weiter nicht zu verkaufen. Oder wie sollte es sonst zu erklären sein, dass ein Kiosk Fachzeitschriften für Taekwondo führt, nicht aber The New Times?

The New Times ist wieder einmal ein Beispiel für den Zustand der Pressefreiheit in Russland. Formal ist alles in Ordnung, juristisch kann niemandem etwas nachgewiesen werden (wie auch, ohne Rechtsstaat), praktisch aber darf in Russland nur das geschrieben werden, was dem Kreml in den Kram passt. Für den Westen behält man noch ein paar Feigenblätter wie Echo Moskwy oder die Nowaja Gaseta, alles andere wird hingegen unterdrückt.

Am 3. März, dem Tag nach den „Präsidentenwahlen“, wurden alle Mitarbeiter der The New Times angerufen. Die unbekannte Stimme am Telefon forderte sie unmissverständlich auf, ihren Job zu kündigen. Sonst würde es ihnen an den Kragen gehen. Für Wassilij hat es gereicht, die psychische Anstrengung hielt er nicht weiter aus. Er hat schweren Herzens gekündigt. Was hilft einem die eigene freie Meinung, wenn man dafür ständig Angst um seine körperliche Unversehrtheit haben muss? Die Meinungsfreiheit muss leider weiter auf „neue Zeiten“ warten...

Floristen im Großeinsatz

Was fällt Euch zum 8. März ein? Die Wahl von Papst Gelasius II. im Jahr 1118? Die Gründung von Eintracht Frankfurt 1899? Oder der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Vietnamkrieg 1965? Stimmt alles. Das ist für Russland aber alles ziemlich schnuppe. Hier ist es der Internationale Frauentag, ursprünglich von der sozialistischen Frauenbewegung um Clara Zetkin begründet, um den Einsatz für gleiche Chancen und Möglichkeiten für Frauen und Männer zu befördern. In Deutschland unbedeutend, ist der 8. März in Russland offizieller Feiertag.

Die Männer und ihre Frauen
In den Tagen davor sind die Floristen im Großeinsatz und machen einen riesigen Umsatz, Männer jagen auf der Suche nach den schönsten Blumen auf den Märkten herum, in jedem Haushalt stapeln sich die Blumen, welche am Arbeitsplatz, in der Schule oder von Freunden verschenkt wurden. Egal wo: Am 8. März wird von den russischen Männern erwartet, dass sie den Frauen in Ihrer Umgebung Aufmerksamkeiten zukommen lassen. Würden sie das nicht tun, dann wäre die Damenwelt sehr enttäuscht. 10% aller Frauen erwarten laut Umfrage zum Frauentag keine Geschenke. Umkehrschluss: 90% erwarten von den Männern etwas zu bekommen. Da kann man ganz schön unter Stress geraten: „Ist meine Freundin mit dem Geschenk zufrieden?“ „Ich brauch noch dringend was für meine Mutter!“ „Hoffentlich habe ich niemanden vergessen.“ Aber wehe, es wird erst am 9. März verschenkt. Dann ist das alles schon nichts mehr wert.

Frauen über den Frauentag
Meine (deutschen) Mitstudentinnen haben eine etwas andere Meinung zum Frauentag [sie sitzen grad neben mir in der Küche]. Friederike hält es für ne „Alibiveranstaltung“. Carolin scheint es so, dass in Russland sich die Aufmerksamkeiten der Männer nur auf einen Tag beschränken: „Wir schenken den Männern 365 Tage im Jahr Liebe, Unterstützung, Geborgenheit. Und was schenken uns die Männer?“ Über kleine Geschenke würde man sich ja eigentlich jeden Tag im Jahr darüber freuen. Susanne gefällt es ebenfalls nicht, dass sich alles nur auf einen Tag konzentriert: „Man soll was verschenken, wann man Lust zu hat, und nicht dann, wann es die Gesellschaft vorgibt. Das ist wie mit dem Valentinstag.“

Unpolitisch
Und leider hat dieser Tag seine politische Bedeutung auch in Russland vollständig verloren. Niemand denkt noch daran, dass Frauen immer noch geringere Löhne erhalten, die Erziehungsaufgaben häufig nur an den Müttern hängenbleiben und sogar der Präsident sich als Macho gibt und dafür geliebt wird.

Also abschaffen?
Sollten die Russen dann also nicht den 8. März abschaffen? Heute früh haben Sergej und ich unsere Mitbewohnerinnen beschenkt. Sie haben sich richtig gefreut – und Schenken macht Spaß. Nein, wenn alle sich freuen, dann lasst uns auch den 8. März 2009 wieder feiern!

Heut war wieder Waschtag

Was ist die Waschmaschine doch für eine tolle Erfindung! Das merkt man immer dann, wenn man gerade wieder einmal seine Klamotten mit der Hand gewaschen hat. Das macht mal gar keinen Spaß!
„Dann musst du dir halt einen Waschsalon suchen!“. Nein, diese Alternative gibt es leider nicht. Trotz knapp 20 Jahren Marktwirtschaft und jeder Menge Kleinunternehmer gab es bis heute niemanden, der in dieser Marktlücke sein Business aufgebaut hat. Dabei haben so viele Russen keine Waschmaschine und müssten einem günstigen Waschsalon mit Selbstbedienung doch die Bude einrennen. Schade.

Samstag, 8. März 2008

Sowjetwitz des Tages IV: Wer war zuerst da?

Ein Jurist, ein Chirurg, ein Bauarbeiter und ein Kommunist streiten sich, wer von ihnen der ältesten Profession nachgehe:
„Als Gott Adam und Eva verurteilte und aus dem Paradies vertrieb“, sagt der Jurist, „da war das der erste juristische Akt!“
„Gestatten sie“, wirft der Chirurg ein, „zuvor schuf Gott Eva aus der Rippe Adams. Das war eine chirurgische Operation!“
„Nichts für ungut“, bemerkt da der Bauarbeiter, „aber ein wenig zuvor hat Gott die Welt geschaffen. Er erbaute sie. Bekanntlich gab es bis dahin nur das Chaos!“
„Und wer schuf das Chaos?“ ruft da feierlich der Kommunist, „natürlich wir, die Kommunisten!“
---
Юрист, хирург, строитель и коммунист поспорили, чья профессия древнее.
- Когда бог осудил Адама и Еву на изгнание из рая, - сказал юрист, - то это был юридический акт!
- Позвольте, - сказал хирург, - перед этим бог создал Еву из ребра Адама. Это была хирургическая операция!
- Простите, - сказал строитель, - несколько раньше бог создал мир, он построил его. Как известно, до этого был только хаос!
- А кто создал хаос? - торжествующе воскликнул коммунист. - Конечно, мы - коммунисты!

Kaderschmiede des Komsomol

Jede Uni, so auch die unsrige, ist stolz auf ihre Geschichte. Unsere Uni – das ist die Moskauer Universität für Geisteswissenschaften (MosGU). Diesen Namen trägt sie erst seit 7 Jahren. Gegründet wurde sie nämlich als Hochschule des kommunistischen Jugendverbandes der Sowjetunion, des Komsomol. Der Komsomol besaß zu Sowjetzeiten praktisch das Monopol auf Jugendarbeit und hatte den Auftrag, die jungen Sowjetbürger zu begeisterten Anhängern des Kommunismus machen. Andere Jugendverbände gab es praktisch nicht, mit seinen 30 Millionen Mitgliedern war der Komsomol innerhalb der Sowjetunion nicht nur ein bedeutendes Machtinstrument, sondern selbst ein Machtfaktor.

Funktionärsausbildung
An der Hochschule wurden dann zukünftige Funktionäre für die verschiedenen Organisationsebenen ausgebildet. Als ehemaliger Gremienmensch in der Jugendarbeit müsste ich mir also heimisch vorkommen... ;-) Übrigens waren dadurch früher auch viele internationale Studierende aus den kommunistischen Bruderstaaten da, darunter ein späteterer chinesischer Außenminister, der auf der Absolventenliste auftaucht.

Wandel zur Privatuni
Anders als die Hochschule der Parteimutter KPdSU schaffte es die Uni durch die Zeit nach 1991 (in diesem Jahr wurde der Komsomol verboten) und wurde zu einer Privatuni. Welche Trägerstruktur die Universität heute besitzt oder ob sie vollkommen selbständig ist, habe ich bisher noch nicht herausgefunden.*

Soziale Arbeit
Schon relativ bald nach 1991 konnte man an der Uni „Soziale Arbeit“ studieren – nach Aussagen der Uni selbst gab es hier die erste eigene Fakultät für Soziale Arbeit in ganz Russland. Andere Fachbereiche (Tourismus, Reklame, Internationale Beziehungen) sind seither hinzugekommen, insgesamt studieren hier heute 10.000 Studierende. Von der Größe her ist das im Mittelfeld der unzähligen Universitäten in Moskau.

Folgen der sowjetischen Hochschulbildung
Der Unterricht ist guter russischer Durchschnitt: Wir sind keine Eliteuni, aber auch nicht gerade schlecht. Einigen älteren Professoren merkt man leider die sowjetische Unterrichtstradition an. Gerade in den Geisteswissenschaften war die „wissenschaftlich bewiesene“ Ideologie des Marxismus-Leninismus verheerend: Eigenständiges Denken außerhalb ideologischer Denkschablonen konnte kaum stattfinden; nicht Systematik und Logik standen im Zentrum, sondern die Anpassung an das erwünschte Weltbild. Deshalb haben wir nun manchmal sowjetischen Unterricht minus Kommunismus. Da wird von einem Professor die Wissenschaft an sich gelobt, ohne dass er bei seinen Ausführungen auch nur einmal eine Quelle nennen könnte; da wird jegliche Religion abgelehnt, da diese zu dogmatisch sei („Also ich bin Atheist“), nur um im nächsten Satz zu erläutern, dass eigentlich nur Gott den Frieden in die Welt bringen könne. Aha! Diese schiefe Logik bietet überhaupt keine Angriffsfläche für Kritik – den Profs ist selbst nämlich gar nicht klar, dass ihre Aussagen manchmal weder Hand noch Fuß haben.
Die jüngeren Generationen der Dozenten sind hingegen deutlich besser, offener, systematischer im Vorgehen. Da macht es mehr Spaß, weil man einfach mehr lernt und offen diskutieren kann.

Personenkult
Auch typisch Russland (aber auch in Deutschland ab und zu anzutreffen): Ein bisschen zu viel Personenkult um unseren Rektor Igor Iljinskij. Seine Bücher sind in jedem Hörsaal ausgestellt, überall läuft man Fotos mit seinem Konterfei über den Weg.

Park!
Super ist unser Unicampus: Ein parkähnliches Gelände mit vielen Bäumen und einem Mix von (neo-)klassizistischen und sozrealistischen Gebäuden. Gleich daneben ist außerdem der Park von Kuskowo. Manchmal glaubt man gar nicht, dass man sich in der Megastadt Moskau befindet:

Korpus 1, ein früheres Anwesen von Graf Scheremetjew

Korpus 3 (wunderschöner Sowjet-Style)

Fast alle unsere Veranstaltungen sind in Korpus A

Unser Wohnheim

Sternwarte???

Gedenktafel zu Ehren der Gefallenen im Großen Vaterländischen Krieg (=Zweiter Weltkrieg)


*Nachtrag, 8.3., 17.14 Uhr:
Scheinbar gehört alles unserem Rektor, einschließlich des riesengroßen Territoriums. Das ist bei den Moskauer Grundstückpreisen zig Millionen wert. Wahrscheinlich wurde die Uni, so wie vieles in den 90ern, privatisiert. In diesem Fall zu Gunsten des Rektors. Besonders kritisch daran ist die Abhängigkeit der gesamten Uni von einer Person. Was geschieht, wenn er plötzlich keine Lust mehr hat oder aufgrund einer Krankheit nicht mehr kann?

Mittwoch, 5. März 2008

Sowjetwitz des Tages III: Im Kindergarten

Die Erzieherin im Kindergarten erzählt den Kindern:
"In der Sowjetunion kann sich jeder satt essen und man hat gute Sachen zum Anziehen. In der Sowjetunion leben die Leute in wunderbaren Wohnungen. In der Sowjetunion haben alle Kinder viele schöne Spielsachen..."
Da fängt Wowotschka zu weinen an:
"Ich..., ich..., ich will in die Sowjetunion!..."
---
Воспитательница в детском саду говорит детям:
– В Советском Союзе каждый сытно ест и красиво одевается. В Советском Союзе люди живут в прекрасных квартирах. У всех детей в Советском Союзе много красивых игрушек...
Вовочка расплакался:
– Хочу... хочу... я хочу в Советский Союз!..

Kaviar!

Irgendwo habe ich mal einen Fernsehausschnitt gesehen, wo Schirinowskij sich gebrüstet hat, dass die Russen so reich seien, dass sie täglich Kaviar essen würden. Im Westen könne man davon nur träumen.

Um Euch neidisch zu machen - auch ich bin unter die Kaviaresser gegangen. Hat gut geschmeckt:

Sowjetwitz des Tages II: Die Traueranzeige

Jeden Morgen geht Rabinowitsch zum Zeitungskiosk, nimmt sich eine Prawda, schaut auf die erste Seite und legt die Zeitung ungekauft zurück. Nach einigen Tagen fragt ihn der Verkäufer, was er denn suche.
"Eine Traueranzeige."
"Die Traueranzeigen befinden sich aber auf der letzen Seite."
"Die Traueranzeige, auf die ich warte, wird auf der ersten Seite sein!"
---
Рабинович каждое утро подходит к газетному киоску, берет "Правду", оглядывает первую страницу и возвращает газету, не купив. Через несколько дней продавец спрашивает, что он ищет.
- Некролог.
- Некрологи помещают на последней странице.
- Некролог, которого я жду, будет на первой!

Dienstag, 4. März 2008

einfach so

Manchmal hat mein einfach gute Laune, weil man in so einer tollen Stadt wie Moskau sein darf. Leckeres Essen und nette Nachbarn haben heute abend ein Übriges getan, dass ich guter Laune bin.

Montag, 3. März 2008

"Prinzessinnenbad" in Moskau

Immer wieder stellt man in Russland kulturelle Unterschiede zwischen sich selbst und vielen Russen fest. Warum ist das so? Dazu eine kleine Geschichte.

Am Freitag war ich im Kino. Ein Bekannter hatte mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle, er würde mit Freunden zu einem Kinofestival gehen und hätte noch ein Ticket übrig. Nun gut, ich kam mit.
Es stellte sich heraus: Es war das deutsch-französische Filmfestival, und es kam ein deutscher Film, Prinzessinnenbad. Ein Dokumentarfilm über drei 15-jährige Mädchen aus Berlin-Kreuzberg und ihren Weg zum Erwachsen Werden.

Der Film war ziemlich authentisch. Nichts war gestellt, vielmehr scheuten sich die Mädels sich kein bisschen vor der Kamera. So sprachen sie über Schwule und die Benutzung von Vibratoren, erzählten von ihren Erfahrungen mit illegalen Drogen oder addierten großzügig die Zahl ihrer bisherigen Männer. Derbe Ausdrücke verwendeten sie in jedem ersten bis zweiten Satz. Sie gaben also nicht gerade das Bild ab, dass man sich von einem wohlerzogenen Jugendlichen aus gutem Hause so vorstellt.

Mir hat der Film super gefallen - ich fand es superspannend, in die Lebenswelt von anderen Menschen reinschauen zu können, von ihren Träumen, Hoffnungen und Erwartungen an das Leben etwas mitzukriegen. Selbst wenn ich mit manchen Sachen so ziemliche Schwierigkeiten habe - aber das ist in dem Fall ja völlig egal.
Den anderen Russen, mit denen ich im Kino war, besonders den Mädels, hat der Film überhaupt nicht gepasst. Während der Szenen, wo die Protagonistinnen offen über Themen sprachen, die in Russland tabu sind, merkte man, wie meine Nachbarinnen immer unruhiger wurden. Ihnen war es unangenehm, vielleicht sogar regelrecht peinlich, so was anzuschauen. Der Film, der außerhalb ihrer eigenen Lebenswelt lag, hatte so gar keine Chance, ihnen zu gefallen.

Vielleicht ist ist das Folgende eine gute Erklärung:
In Russland (aber nicht nur hier!) gibt es viele Leute, die nicht über den Schatten ihres eigenen Denkens springen können. Sie können nur schwer begreifen, dass es Dinge gibt, die jenseits ihrer Vorstellung liegen und trotzdem gelebt werden können. OK, so geht es ja fast jedem. Aber was hier oft fehlt, ist das Bemühen, dieses Andere oder Fremde zu verstehen. In der Sowjetunion gab es ja nur wenig Kontakt zu Ausländern, die Gesellschaft bestand offiziell aus Gleichen und hatte keine innere Differenzierung. Stattdessen wurde in den Medien und in der Kunst ein moralisch hochwertiges Bild des idealen Sowetbürgers projiziert: So soll er leben und sich verhalten, und nicht anders! Alternative Lebensentwürfe? Fehlanzeige. Dieses Bild vom Einzelnen und der Gesellschaft wirkt auch heute noch fort.

Ich glaube, dies ist einer der Gründe für die teils sehr negative Wahrnehmung der westlichen Gesellschaft in Russland: Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass andere Leute anders leben. Und interessiert sich deshalb auch nicht dafür, sondern lehnt es ab. Austausch und Verständnis wachsen so jedoch nicht.

Gleichzeitig ist dies aber nicht ein genuin russisches Phänomen, sondern ein Problem fast jeder Gesellschaft mit sich selbst: Wenn verschiedene Milieus so voneinander abgekapselt sind, dass alle anderen Lebenswelten unverständlich werden und abgelehnt werden. Das ist in Russland so, und es ist in Deutschland so.

Fazit:
Am Freitag abend habe ich mal wieder gelernt, wie wichtig es ist, dass ganz verschiedene Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund kommunizieren und versuchen, einander besser zu verstehen. Sei es international zwischen Staaten, horizontal zwischen Ethnien oder vertikal zwischen gesellschaftlichen Schichten (Klassen?). Dieses zu fördern und zu unterstützen ist eine Aufgabe, die nie zu Ende geht.

Sowjetwitz des Tages: Die Generalsekretäre

Lenin hat gezeigt, wie man regiert. Stalin hat gezeigt, wie man regieren sollte. Chruschtschow hat gezeigt, dass jeder Idiot regieren kann. Breschnew hat gezeigt, dass nicht jeder Idiot regieren kann.
---
Ленин показал, как можно управлять. Сталин показал, как нужно управлять. Хрущев показал, что всякий дурак может управлять. Брежнев показал, что не всякий дурак может управлять.

Russendisko

Auf die "Schwarzen Augen" sind unsere Mädels neulich total abgegangen:

Das sieht dann so aus:

Akklamation des Nachfolgers

Gestern waren ja die „Präsidentschaftswahlen“ in Russland. Man könnte auch schreiben, Dmitrij Medwedew wurde als Nachfolger Putins akklamiert. Im offiziellen Sprachgebrauch war jedenfalls alles demokratisch.

Wahlkampf der Pappkameraden

Ein Wahlkampf fand mit Ausnahme von ein paar Fernsehdiskussionen (z.B. hier - man beachte die letzte Minute) der Pappkameraden Bogdanow, Schirinowskij und Sjuganow nicht statt. Medwedew ging erst gar nicht hin. Er ließ verlauten, für ihn gäbe es wichtigere Dinge zu tun als herumzudiskutieren, vielmehr müsse er konkrete Arbeit zum Wohl des Landes leisten. Immer wieder hat man den Eindruck, dass man hier mit der Demokratie wie in der Weimarer Republik umgeht: Dort war für viele Konservative der Reichstag auch nur eine unnütze „Schwatzbude“. Im Russland der Gegenwart sind Auseinandersetzungen um politische Konzepte von vielen verpöhnt und werden vom Kreml unterdrückt. Dies könnte ja die Herrschenden und ihre Politik in Frage stellen.

Langeweile

Sowieso war der Wahlkampf langweilig. In ganz Moskau gab es genau 1 Wahlplakat zu entdecken: Vorgänger und Nachfolger vereint auf einem riesigen Plakat in Landesfarben. Die anderen Kandidaten tauchten nicht auf, auch Wahlkampfveranstaltungen gab es praktisch nicht. Für jeden politik-interessierten Menschen war das wirklich tote Hose hier.


Wahlwerbung ohne Kandidaten

Verpassen konnte man die Wahl trotzdem nicht. Denn immerhin gibt es viele Plakate mit offiziellen Wahlankündigungen, auf manchen war auch der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow zu bewundern: „Я голосую за будущее России“ („Ich stimme für die Zukunft Russlands“). Achja, und neulich kam noch eine Nachricht auf’s Handy: „2 марта приходите на выборы Президенты! Ваш голос важен для страны!!!“ („Gehen sie am 2. März zu den Präsidentschaftswahlen! Ihre Stimme ist wichtig für das Land!!!“). War das nicht patriotisch von meinem Mobilfunkunternehmen? Nutzer anderer Handynetze bekamen übrigens wundersamerweise die exakt gleiche Nachricht.


Was tun?

Viele meiner Moskauer Bekannten und Freunde habe ich gefragt, ob bzw. was sie denn wählen würden. Praktisch alle waren unzufrieden damit, wie die Machtübergabe verläuft. Ein Teil wollte deshalb gar nicht bei der Wahl (man könne ja eh nichts tun), andere wollten den Wahlzettel ungültig machen (z.B. zerreißen), andere wollten für Sjuganow oder Bogdanow stimmen. Medwedew wollte kein einziger ankreuzen!

Ergebnis

Das Ergebnis war ja voraussehbar und deshalb höchst langweilig. Immerhin hat Medwedew diesmal in Tschetschenien nur 88,7% erhalten, und keine 99,4% wie im Dezember die Monopolpartei "Edinaja Rossija". Interessant sind einzig die "schwarzen Wahltechnologien" (woanders hieße das Wahlverstoß). Diese dürften zwar nicht so relevant sein, dass sie zu einem anderen Ausgang der Wahl geführt hätten (wer hätte es auch werden sollen?). Aber sie helfen doch, die Wahlbeteiligung künstlich zu erhöhen und so die Legitimation des Präsidenten zu erhöhen.

Wahltechnologien

Wundersame Wählervermehrung
In der Republik Inguschetien (gleich neben Tschetschenien) kamen Wahlbeobachter auf die Zahl von 5.742 Personen, die gewählt haben. Dies entspricht einer Wahlbeteiligung von 3,5%. Das offizielle Ergebnis kommt hingegen auf 153.122 abgegebene Stimmen, also 92,3% der gültigen Stimmen.

Für Medwedew geht immer
Verschiedene „Aktivisten“ (so heißt das hier) der liberalen Partei Jabloko aus Moskau haben ein Experiment gemacht. Sie gingen ins Wahllokal, und fragten nach, ob sie denn nicht wählen könnten. Sie kämen aus Murmansk (hinter dem Polarkreis) und wollten doch unbedingt Medwedew wählen. Ob das denn ginge. Ohne Eintragung im Wählerverzeichnis ja eigentlich nicht möglich. In 5 von 7 Wahllokalen erhielten sie trotzdem einen Stimmzettel – hätten also 5x wählen können. In Petersburg waren sie sogar noch erfolgreicher: Den Stimmzettel gab es in allen 7 Wahllokalen.

Der Klassiker: Wahlbeteiligung von Studierenden
Wer nicht zur Wahl geht, der muss mit Problemen rechnen. Es gibt ja schließlich viele Personen, die gerne einen Wohnheimsplatz hätten, teilt einem die Wohnheimsleitung mit. Außerdem warnen fürsorgliche Pädagogen, politische Inaktivität könne zu schlechten Noten führen.

Die fortschrittliche Wahlgesetzgebung
Der Leiter der Wahlkommission Wladimir Tschurow meint, dass Russland eines der fortschrittlichsten Wahlgesetze überhaupt hat. Dies sei auch Meinung vieler Experten. Wenn Fortschritt bedeutet, dass man vom Zentrum aus alles Ungebetene bei der Wahl verhindern kann (z.B. über sehr hohe Hürden für das passive Wahlrecht), dann hat er sogar recht. So ist es in Russland sehr schwer, die geforderten 2 Millionen Unterschriften für eine Kandidatur einzusammeln. Noch einfacher ist es, diese als Fälschung gelten zu lassen. Lustig ist auch die Regel: Wer für das Amt des Präsidenten kandidiert, muss mindestens seit 10 Jahren im Land leben. Wer also mal 1 Jahr im Ausland war, der darf nicht mehr. Ebenfalls nicht kandidieren dürfen Personen, die Staatsangehörige zweier Staaten sind. Ein Russe mit zweiter Staatsbürgerschaft wird in Russland also seiner staatsbürgerlichen Rechte beschnitten.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
„Bisher haben wir keine bewiesenen Fakten [über Verstöße]“, ließ Wladimir Tschurow verlauten. Wer nichts sehen will, der sieht auch nix. Das hat er im Übrigen mit den Wahlbeobachtern aus den GUS-Staaten gemein, für die der Wahlkampf allen demokratischen Bedingungen entsprach.

Und was ist die Moral von der Geschicht? Zynismus geht immer: Hoch lebe das Machtmonopol der Bürokratie!

Freitag, 29. Februar 2008

Blog abonnieren

Diesen Blog kann man auch als RSS-Feed abonnieren. Wie das genau funktioniert, kann ich auch nicht sagen - ich mache es über mein Mailprogramm Thunderbird (dasselbe wie Outlook oder Outlook Express). Irgendwie geht es auch über den Browser. Die notwendige Adresse dafür bekommt man jedenfalls auf dieser Seite ganz unten (dort, wo "Abonnieren Posts (Atom)" steht).

Die ersten 4 Wochen

So, seit fast einem Monat bin ich nun hier schon in Moskau. Ich bin gut angekommen und habe mich in Stadt und Uni gut eingelebt.

Nochmal zur Wiederholung - was mache ich hier eigentlich? Ich studiere "Interkulturelle Sozialarbeit" an der Moskauer Universität für Geisteswissenschaften (kurz: MosGU). Das ganze ist ein gemeinsames Projekt von der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin und der MosGU, d.h., zuerst sind wir 1 Semester in Russland, anschließend 2 Semester in Deutschland. Das ganze Programm ist zweisprachig (deutsch und russisch), die Studenten kommen ebenfalls aus beiden Ländern. Insgesamt sind wir nur 12 Leute, eine wunderbar geringe Zahl im Vergleich zu Seminaren mit 40-50 Leuten in Freiburg.
Und so sieht unsere Gruppe aus:





Wir sind eine ganz bunte Truppe, es gibt hier nicht nur Leute mit Abschlüssen in Sozialarbeit, sondern auch Kulturwissenschaften, Soziologie, Ethnologie und Slavistik. 9 von uns wohnen zusammen im Wohnheim. Das ist ganz lustig, außerdem ist es ganz praktisch, wenn man wieder mal etwas nicht verstanden hat und nachfragen will.
Das Wohnheim ist überraschend neu, in Moskau habe ich bisher kaum bessere gesehen. Mit den paar Minussen (keine Waschmaschine, Reinigungskräfte putzen recht oberflächlich, Fenster schließt nicht ganz) kann man gut leben. Wir haben hier 2er-Zimmer, ich bin zusammen mit Sergej in einem Raum. Das macht mir aber nichts aus, im Gegenteil finde ich das sogar ganz nett.

Das Studium selbst macht Spaß. Vieles ist zwar etwas "russisch" organisiert und wir wissen immer noch nicht, ob unsere deutschen Hochschulabschlüsse wirklich "nostrifiziert" werden müssen (ein höchstkompliziertes bürokratisches Verfahren), aber ich glaube, dass ich am Schluss damit wirklich etwas anfangen kann.
Die Veranstaltungen sind alle auf Russisch. Meistens komme ich eigentlich ganz gut zurecht damit. Im Vergleich zu meinen deutschen Kolleginnen habe ich schon mal ein Jahr in Russland studiert und bin das gewohnt. Ein kleiner Startvorteil.

So, ich muss weitermachen.
Viele Grüße in die weite Welt - Tobi

Wieso eigentlich dieser Titel?

Wieso heißt diese Seite denn "mitten in Europa"? Naja, das hat mehrere Gründe:

erstens (Pragmatismus): Wenn ich an einem anderen Ort dieses Kontinents wohne, lässt sich die Adresse immer noch guten Gewissens verwenden.

zweitens (Überzeugung): Für mich ist Moskau eine europäische Stadt. Auch wenn das viele im Westen Europas anders sehen und die Grenze Europas schon am Bug beginnen lassen.

drittens (Frage): Moskau ist Europa - aber mittendrin? Ich mag Fragen, die sich nicht sofort beantworten lassen. Vieles in Russland definiert sich über Europa bzw. den Westen. Entweder über die Zugehörigkeit dazu, oder gerade über die Abgrenzung durch die Betonung des eigenen, vermeintlich Russischen. Deshalb auch das "!?".

viertens (Europa selbst): Europa als Thema lässt mich nicht los [Viele Grüße an alle JEFler!].

Voilà!

Voilà, da ist er, mein erster Blog. Ich dachte, wenn ich schon mal einige Monate in diesem großen Land verbringe, berichte immer mal wieder aus erster Hand von meinen Erlebnissen und Eindrücken.
Seit Weihnachten mit einer Digitalkamera bestückt, werde ich ab und zu auch mal ein paar Bilder einfügen können.

Wer Fragen oder Kommentare - nur zu, her damit. Einfach in den Blog reinschreiben! Auch Themenwünsche werden je nach Möglichkeit beantortet. Ich werde mein Bestes geben.

Всего вам доброго - Тоби