Montag, 3. März 2008

"Prinzessinnenbad" in Moskau

Immer wieder stellt man in Russland kulturelle Unterschiede zwischen sich selbst und vielen Russen fest. Warum ist das so? Dazu eine kleine Geschichte.

Am Freitag war ich im Kino. Ein Bekannter hatte mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle, er würde mit Freunden zu einem Kinofestival gehen und hätte noch ein Ticket übrig. Nun gut, ich kam mit.
Es stellte sich heraus: Es war das deutsch-französische Filmfestival, und es kam ein deutscher Film, Prinzessinnenbad. Ein Dokumentarfilm über drei 15-jährige Mädchen aus Berlin-Kreuzberg und ihren Weg zum Erwachsen Werden.

Der Film war ziemlich authentisch. Nichts war gestellt, vielmehr scheuten sich die Mädels sich kein bisschen vor der Kamera. So sprachen sie über Schwule und die Benutzung von Vibratoren, erzählten von ihren Erfahrungen mit illegalen Drogen oder addierten großzügig die Zahl ihrer bisherigen Männer. Derbe Ausdrücke verwendeten sie in jedem ersten bis zweiten Satz. Sie gaben also nicht gerade das Bild ab, dass man sich von einem wohlerzogenen Jugendlichen aus gutem Hause so vorstellt.

Mir hat der Film super gefallen - ich fand es superspannend, in die Lebenswelt von anderen Menschen reinschauen zu können, von ihren Träumen, Hoffnungen und Erwartungen an das Leben etwas mitzukriegen. Selbst wenn ich mit manchen Sachen so ziemliche Schwierigkeiten habe - aber das ist in dem Fall ja völlig egal.
Den anderen Russen, mit denen ich im Kino war, besonders den Mädels, hat der Film überhaupt nicht gepasst. Während der Szenen, wo die Protagonistinnen offen über Themen sprachen, die in Russland tabu sind, merkte man, wie meine Nachbarinnen immer unruhiger wurden. Ihnen war es unangenehm, vielleicht sogar regelrecht peinlich, so was anzuschauen. Der Film, der außerhalb ihrer eigenen Lebenswelt lag, hatte so gar keine Chance, ihnen zu gefallen.

Vielleicht ist ist das Folgende eine gute Erklärung:
In Russland (aber nicht nur hier!) gibt es viele Leute, die nicht über den Schatten ihres eigenen Denkens springen können. Sie können nur schwer begreifen, dass es Dinge gibt, die jenseits ihrer Vorstellung liegen und trotzdem gelebt werden können. OK, so geht es ja fast jedem. Aber was hier oft fehlt, ist das Bemühen, dieses Andere oder Fremde zu verstehen. In der Sowjetunion gab es ja nur wenig Kontakt zu Ausländern, die Gesellschaft bestand offiziell aus Gleichen und hatte keine innere Differenzierung. Stattdessen wurde in den Medien und in der Kunst ein moralisch hochwertiges Bild des idealen Sowetbürgers projiziert: So soll er leben und sich verhalten, und nicht anders! Alternative Lebensentwürfe? Fehlanzeige. Dieses Bild vom Einzelnen und der Gesellschaft wirkt auch heute noch fort.

Ich glaube, dies ist einer der Gründe für die teils sehr negative Wahrnehmung der westlichen Gesellschaft in Russland: Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass andere Leute anders leben. Und interessiert sich deshalb auch nicht dafür, sondern lehnt es ab. Austausch und Verständnis wachsen so jedoch nicht.

Gleichzeitig ist dies aber nicht ein genuin russisches Phänomen, sondern ein Problem fast jeder Gesellschaft mit sich selbst: Wenn verschiedene Milieus so voneinander abgekapselt sind, dass alle anderen Lebenswelten unverständlich werden und abgelehnt werden. Das ist in Russland so, und es ist in Deutschland so.

Fazit:
Am Freitag abend habe ich mal wieder gelernt, wie wichtig es ist, dass ganz verschiedene Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund kommunizieren und versuchen, einander besser zu verstehen. Sei es international zwischen Staaten, horizontal zwischen Ethnien oder vertikal zwischen gesellschaftlichen Schichten (Klassen?). Dieses zu fördern und zu unterstützen ist eine Aufgabe, die nie zu Ende geht.

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