Ein Freund, nennen wir ihn Wassilij, arbeitet seit einem guten halben Jahr bei der russischen Wochenzeitung The New Times. Dieses Magazin ist nicht irgendeine Publikation, sondern wurde Anfang 2007 als bewusst oppositionelles Zeitung gegründet. Beim Durchblättern fällt die kritische Haltung gegenüber dem Kreml sofort ins Auge. Auf den zweiten Blick freut man sich außerdem über die praktisch völlige Abwesenheit von Werbung. Kein Zufall – diese für den Leser angenehme Eigenschaft liegt eben in der Positionierung des Blattes: Firmen, die hier für sich werben würden, müssten mit negativen Konsequenzen rechnen. Als nach den ersten Wochen klar war, worüber die Zeitung schreibt, gingen alle Werbekunden möglichst schnell wieder von Bord. Ohne Werbung ist die Finanzierung einer Zeitung jedoch ziemlich schwierig. Weshalb Wassilij weniger verdient als Kollegen bei anderen Publikationen.
Der ökonomische Druck ist jedoch nicht der einzige Weg der Gängelung:
Da darf die Wassilijs Kollegin Natalja Morar, welche im Dezember einen Artikel über die verdeckte Parteienfinanzierung durch den Kreml verfasst hat, nicht mehr ins Land einreisen. Sie hat die moldawische Staatsbürgerschaft und stellt laut Geheimdienst FSB eine Gefährdung für die staatliche Sicherheit dar [erinnert das nicht an die CIA-Verschwörungen in amerikanischen Filmen?]. Sogar nachdem sie ihren russischen Freund geheiratet hat, wird ihr die Einreise verweigert! Familienzusammenführung auf russische Art.
Da lungern ständig zwielichtige Gestalten vor Redaktion herum und jagen den Besuchern Angst ein. Die Polizei fühlt sich nicht zuständig.
Da werden Redakteure auf dem Weg von der Arbeit nach Hause verfolgt. Wassilij berichtete, dass er mittlerweile regelrecht unter Verfolgungswahn leide und aus Nervosität viel mehr rauche.
Da wird Druck auf Kioskbetreiber ausgeübt, die Zeitung weiter nicht zu verkaufen. Oder wie sollte es sonst zu erklären sein, dass ein Kiosk Fachzeitschriften für Taekwondo führt, nicht aber The New Times?
The New Times ist wieder einmal ein Beispiel für den Zustand der Pressefreiheit in Russland. Formal ist alles in Ordnung, juristisch kann niemandem etwas nachgewiesen werden (wie auch, ohne Rechtsstaat), praktisch aber darf in Russland nur das geschrieben werden, was dem Kreml in den Kram passt. Für den Westen behält man noch ein paar Feigenblätter wie Echo Moskwy oder die Nowaja Gaseta, alles andere wird hingegen unterdrückt.
Am 3. März, dem Tag nach den „Präsidentenwahlen“, wurden alle Mitarbeiter der The New Times angerufen. Die unbekannte Stimme am Telefon forderte sie unmissverständlich auf, ihren Job zu kündigen. Sonst würde es ihnen an den Kragen gehen. Für Wassilij hat es gereicht, die psychische Anstrengung hielt er nicht weiter aus. Er hat schweren Herzens gekündigt. Was hilft einem die eigene freie Meinung, wenn man dafür ständig Angst um seine körperliche Unversehrtheit haben muss? Die Meinungsfreiheit muss leider weiter auf „neue Zeiten“ warten...
Sonntag, 9. März 2008
Journalismus in Russland: Staat vs. Meinungsfreiheit
Labels:
Politisches,
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