An unserer Uni gibt es etwas Eigenartiges. Zwar studieren hier ein paar Hundert Leute das Fach Soziale Arbeit, die Mehrheit aber will im Anschluss gar nicht als Sozialarbeiter arbeiten, sondern irgendeine andere Tätigkeit ausüben. Der Grund ist vielfach sehr einfach. Im sozialen Bereich in Russland kann man als MitarbeiterIn nur ziemlich wenig Geld verdienen. Anzutreffen ist auch immer wieder eine sehr schwach ausgeprägte Motivation. Auf die Frage, warum er das studiere, antwortete uns ein Student einmal: „Weiß ich nicht. Ich studiere halt in Moskau.“ Irgendwie fnde ich das reichlich sonderbar. Da beschäftigen sich alle mit Sozialarbeit, aber danach umsetzen will es keiner.
Gestern haben wir aber zum ersten Mal jemanden getroffen, der im sozialen Bereich arbeitet, obwohl er nicht einmal Sozialarbeiter ist. Igor war an der Landwirtschaftsakademie und hat dort Pädagogik gelernt. Bei einem Betriebspraktikum in der Nähe von München hat er vor mehreren Jahren therapeutisches Reiten entdeckt. Daraufhin hat er in Moskau nach der „Ippoterapija“ gesucht und dort angefangen zu arbeiten. Im Moment schreibt er darüber seine Dissertation. In die Therapie kommen ganz unterschiedliche Leute, hat er uns erzählt. Psychisch Kranke, Menschen mit Down-Syndrom, Autisten. Man hat richtig gemerkt, dass ihm dieser Job Spaß macht. Leider sei diese Art von Therapie in Russland noch nicht sehr entwickelt. In Deutschland gebe es etwa 10 mal so häufig. Aber es würde in Russland immer mehr zunehmen.
Diesen Eindruck habe ich hier, zumindest in Moskau, immer wieder. Zwar liegt im sozialen Bereich vieles im Argen, aber es gibt stetige Verbesserungen, was die Weiterentwicklung von Strukturen und die Finanzierung betrifft. Schwieriger wird es bei der Wahrnehmung innerhalb der Gesellschaft. Denn oft werden Menschen, die sowieso schon am Rande stehen, noch weiter ausgegrenzt. Sei dies bei Obdachlosen, bei Psychisch Kranken oder bei Menschen mit Behinderung. Mit denen will man nix zu tun haben. Vieles ist bestimmt eine Folge der Sowjetunion, wo solche Probleme einfach in irgendwelche verlotterten Heime auf dem Land abgeschoben wurden, so dass der Durchschnittssowjetbürger überhaupt nichts davon mitbekommen hat. Mit solchen Menschen war man nie konfrontiert. Und was man nicht kennt, das lehnt man ab. Aber bis zur Integration in die Gesellschaft ist es noch ein weiter Weg.
Sonntag, 6. April 2008
Sozialarbeiter ohne Soziale Arbeit
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