Donnerstag, 27. März 2008

Werben Sie für Milchprodukte!

So werden in Moskau Studentenjobs gesucht [Hinweis: In Moskau gibt es einen Mangel an Arbeitskräften in praktisch jeder Sphäre.]:

Die Firma IMS lädt Sie ein, am neuen Projekt des weltweit größten Herstellers für MILCHPRODUKTE teilzunehmen!!!

Sie haben die perfekte Gelegenheit, eine Arbeit für den Sommer zu bekommen und mit Freund oder Freundin zusammen zu arbeiten!!!

Wir laden Sie ein, an einer tollen, sommerlichen, strahlenden, fröhlichen Aktion teilzunehmen!!!

Zeitplan: Donnerstag, Freitag, 16.00-20.00 und Samstag, 11.00-14.00.

Bezahlung: 1-2 Wochen 3,8$ pro Stunde, 3-4 Wochen 4,2$ pro Stunde

Arbeitsplatz:
Moskauer Supermärkte

Art der Tätigkeit:
Sie tragen die sehr grellen und schönen Verkleidungen der Helden unseres Produktes.

Unsere Anforderungen:
Junge Frauen und Männer ab 16 Jahre, Kleidergröße bis 46, mind. 165cm groß, Medizinischer Ausweis.

Melden Sie sich für ein Bewerbungsgespräch unter Telefon 933-09-41


Wer hat Lust?

Kleinigkeiten: Ein Metroeingang

Russland war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Mekka für Architekten. Viele tolle Gebäude und Architekturdenkmäler sind in dieser Zeit entstanden. Nicht nur Stalins Zuckerbäckerstil, sondern auch der Konstruktivismus hat hier ein Zuhause.

Ein tolles Beispiel ist das südliche Vestibül der Metro-Station "Krasnye Vorota" (ohne viel Ahnung zu haben - ich glaube, es ist konstruktivistisch):

Dienstag, 25. März 2008

Bürokratie wegen 5 Rubel

Gerade konnte ich wieder ein typisches Beispiel für Bürokratie in Russland erleben.
Folgende Situation: Ich musste zwei Dokumente ausdrucken. Die einzige Möglichkeit in der Uni ist hierzu die „elektronische Bibliothek“ in Korpus 3. So heißt hier der Raum mit Drucker und Internetzugang (Kostenpunkt für 1 Stunde Internet: 50,- Rubel = 1,30 EUR). Dort wendet man sich an den „Konsultant“ (eine Frau), gibt ihr seinen USB-Stick, und sie druckt es aus.

OK, das klingt noch normal. Jetzt kommt aber die Bürokratie ins Spiel: Bezahlen kann man in der Elektronischen Bibliothek nämlich nicht. Das muss man bei der Unikasse machen, für die der Konsultant einen Zettel ausfüllt. Diese Woche ist die Kassiererin in Korpus 3 jedoch krankgeschrieben, deshalb muss man zur Kasse in Korpus 3. Der Kasse vorgeschaltet ist die Buchhaltung, die eine extra Zahlungsanweisung verfasst, damit man damit dann bei der Kasse bezahlen kann. Der Amtsschimmel wiehert kräftig: Wieso gibt es nicht einfach eine kleine Kasse in der Elektronka? Wenn man nur 1 Seite (= 5,- Rubel = 13 Cent) ausdruckt, müssen dafür drei Personen in Bewegung gesetzt werden.

Also machte ich mich auf den Weg Richtung Korpus 3. Wie es immer ist, wenn man sich beeilen muss (die Elektronische Bibliothek sollte 15 Minuten später schließen), stand vor der Buchhaltung eine lange Schlange, die sich nur langsam vorwärtsbewegte. OK, dann gibt es heut halt keinen Ausdruck. Toll, die Bürokratie hat mal wieder gesiegt.

In der Elektronka meinte ich nun, ich könne heute nicht mehr bezahlen: „Dann bringen Sie uns halt morgen die Bestätigung, dass sie bezahlt haben. Ihre Ausdrucke können Sie schon mitnehmen.“ Der/die Konsultant war also alles andere als bürokratisch. Sie hätte einfach sagen können: Dann gibt es keinen Ausdruck! Stattdessen vertraute sie mir einfach, dass ich morgen bezahle. Echt nett!

Typisch Russland: Auf der einen Seite die Komplexität eines unverständlichen bürokratischen Systems, bei dem es vor allem darum geht, ja keine Kompetenzen an andere Leute abzugeben und selbst alles zu kontrollieren. Auf der anderen Seite die fehlende Durchsetzung; es gibt ganz viele Regeln, aber am Ende kann man sie dann doch umgehen. Leider funtioniert so kein Rechtsstaat, und Erwartungssicherheit wird auch nicht geschaffen: Gilt das, was heute gilt, auch morgen? Kann ich mir sicher sein, dass ich das, was mir zusteht, auch bekomme? Kann ich überhaupt im Voraus planen?

trocken oder nass?

Plötzlich fragen mich heute alle meine Mitbewohnerinnen mit einem Balkanakzent, ob ich mich trocken oder nass rasiere. Sonderbar, irgendwas scheinen die mit mir vorzuhaben...

Wir sind in den Nachrichten

Letzten Freitag hat übrigens die deutschsprachige Nachrichtenseite aktuell.ru einen Bericht über unseren Studiengang verfasst. Viel Spaß beim Lesen: der Artikel.

Sowjetwitz des Tages VII: Den Kommunismus im Blick

[Hinweis: Die UdSSR verstand sich als sozialistisches System, in dem gemeinsam der Kommunismus gebaut wird. Dieser sollte die Vollendung des gesellschaftlichen Aufbaus sein und diente als Rechtfertigung: Heute müssen wir uns einschränken, damit uns in Zukunft der Kommunismus (=Paradies) erwartet.]

Bei einer Vorlesung sagt der Dozent, der Kommunismus sei schon am Horizont zu sehen. Daraufhin wird er gefragt: „Was ist das eigentlich, der Horizont?“
Antwort: „ Das ist eine gedachte Linie, an der sich Himmel und Erde berühren und die sich von uns entfernt, wenn wir uns ihr zu nähern versuchen.“
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Лектор говорит, что коммунизм уже на горизонте. Ему - вопрос:
- А что такое горизонт?
- Это воображаемая линия, в которой небо сходится с землей и которая удаляется от нас, когда мы пытаемся к ней приблизиться.

Zwei Seiten der Medaille

Michail Gorbatschow hat einen offenen Brief „An meine Freunde, die deutschen Journalisten“ geschrieben. Darin geht es um die Russland-Berichterstattung in deutschen Medien. Diese verbreite oft zu negative einseitige Bilder und erzeuge bei vielen Russen das Gefühl, von Deutschland nicht gemocht zu werden. Im Sinne der gegenseitigen Verständigung sei dies ein Hindernis.

Über Russland zu berichten ist nicht einfach. In der Tat geschehen hier sehr viele Dinge, die aus unserer westlichen Perspektive und auch aus Perspektive vieler Russen zu kritisieren sind. Hinzu kommt, dass einem als Auswärtigen vor allem diejenigen Dinge auffallen, die ungewohnt sind und mit denen man zu kämpfen hat. Beispiel: Bürokratie. Und tatsächlich sind viele Dinge auf ein fehlendes Demokratieverständnis bei den Eliten und in der Gesellschaft zurückzuführen.

Was Gorbatschow auch sagt: Wer hauptsächlich Negatives schreibt, der liebe Russland nicht. Dem stimme ich nicht zu. Denn oft ist es sogar andersherum. Gerade weil dieses Land vielen russischen und westlichen Journalisten nicht egal ist, prangern sie die Dinge an, die ihnen weh tun.

Auch sonst kann hier einem wirklich viel auf den Keks gehen: Wer steht schon gerne 30min in der Schlange bei der Post, um zu hören, der Schalter mit den Briefmarken habe heute nicht geöffnet. Das ist aber kein Zufall, sondern das chaotische System der russischen Post.

Hier gibt es vieles Positives und Negatives, Schönes und wenig Schönes. Beides sollte in dem vorkommen, was man von Russland schreibt. Ich habe den Eindruck, dass die meisten das zu tun versuchen. Was man als Mensch aus dem „Westen“ auf jeden Fall nicht haben sollte: Überheblichkeit. Denn: 1) Bei uns ist auch nicht alles Gold, was glänzt, 2) muss man Entscheidungen und Handlungen immer im Kontext sehen. Was wäre denn, wenn Putin ein lupenreiner Demokrat wäre? Dann wäre er trotzdem von seinem Umfeld abhängig und würde wohl von diesem abserviert.

Fazit: Vieles in Russland hat eine Vorder- und eine Rückseite. Wir sollten beide Seiten der Medaille betrachten.

Mittwoch, 19. März 2008

Sowjetwitz des Tages VI: Die deutsche Teilung

„Was hat Deutschland von Marx geerbt?“
„Der Osten Deutschlands hat das kommunistische Manifest geerbt, der Westen das Kapital.“
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- Что унаследовала Германия от Маркса?
- Восточная - Коммунистический манифест, западная - капитал.

Dankeschön!

Es gibt zwei Leute, denen ich heute besonders dankbar bin:

Erstens hat mir Viki ein ganz tolles Paket aus Deutschland geschickt. Nach 5 Wochen – es lebe der deutsch-russische Postverkehr – war das Paket endlich da. Jetzt habe ich endlich richtige Stiefel für dieses Matschewetter (die alten Stiefel waren beim Hinflug kaputtgegangen). Außerdem waren meine Joggingschuhe dabei. Auf dem Unicampus und im Kuskowo-Park kann man damit bestimmt richtig gut joggen.

Zweitens Natalka, die in der Küche Gitarre gespielt und Lieder von Zemfira und aus dem Pionierlager gesungen hat. Unsere langweilige Küche war plötzlich voller Atmosphäre. Das war ein toller Tagesabschluss.
Dankeschön!

Montag, 17. März 2008

Sowjetwitz des Tages V: Meinungsfreiheit

„Bei uns gibt es Freiheit“, sagt der Amerikaner, „ich kann auf die Straße gehen und rufen ‚Nieder mit Reagan!’“
„Du wirst staunen!“, sagt der Russe, „auch ich kann auf die Straße gehen und rufen ‚Nieder mit Reagan!’“
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– У нас свобода, - говорит американец. – Я могу выйти на улицу и кричать "долой Рейгана!"
– Подумаешь! - говорит русский. – Я тоже могу выйти на улицу и кричать "долой Рейгана!"

Russischer Frühling

Seit einer knappen Woche ist hier in Moskau Frühling. Nun ja, es ist ein eher russischer Frühling: Die Temperaturen steigen auf Plusgrade, der Schnee schmilzt so langsam, und alle Gehwege versinken im Matsch. Die Folge: Man muss genau schauen, wo man hinläuft, und trotz diverser Umwege sind die Schuhe am Schluss in ein schönes Spritz-Braun getaucht.

Auch sonst hat man wenig vom Frühling. Die allgemeine Farbe wechselt von weiß-grau auf braun-grau, die Farbe Grün ist praktisch nirgends zu sehen. Auf Blumen muss man ebenfalls noch wochenlang warten.

Auf den Frühlingsbeginn gibt es zwei unterschiedliche Reaktionen: Gruppe Nr.1 (dazu gehöre auch ich) sagt: „Wir wollen den Winter zurück!“ Klappt leider nicht. Gruppe Nr.2 hingegen jubelt: „Endlich ist der Winter zu Ende!“ Und was hat man davon? Nichts. Also bleibt nur eine dritte Position: Sich darüber freuen, dass irgendwann Ende April der richtige Frühling mit grünen Wiesen und blühenden Bäumen kommt. Vorfreude ist ja schließlich die schönste Freude.

Sonntag, 16. März 2008

Typisch Moskau: Die Metro

Mein absoluter Liebling in Moskau ist die Metro. 12 Linien auf 290 Kilometern, 9 Millionen Fahrgäste am Tag. Im Schnitt fährt also fast jeder Moskauer einmal am Tag Metro.

Neuer Metroeingang - und noch immer schreiben sie drauf "Lenin"-Metro.

Was so toll an der Metro ist:
  • In anderen Ländern braucht man Fahrpläne – in Moskau fährt die Bahn zur Stoßzeit alle 90 Sekunden. Man muss also praktisch nie warten!
Auf dem Bahnsteig
  • Jede Station ist anders ausgestaltet, oft verbergen sich unter der Erde wahre Paläste, mit Kronleuchtern und Gemälden an den Wänden. Viele Stationen sind bestimmten Themen gewidmet. Am „Platz der Revolution“ stehen Statuen von sozialistischen Helden und Revolutionären, an der „Mendelejewskaja“ sehen die Lampen aus wie Moleküle, oder an der „Kiewskaja“ sind Mosaike mit ukrainischen Szenen zu bewundern.
Einstieg unter Kronleuchtern

Ukrainische Traktoristenbrigade

"Ukrainer beim Spaziergang"

  • Die Metro ist Geschichte. Nachdem 1935 die ersten Stationen eröffneten, errichtet von bis zu 75.000 Arbeitern, wurden im Anschluss alle paar Jahre neue Linien eingeweiht und verlängert. Schon alleine an der Architektur kann man die verschiedenen Epochen erkennen. Waren es unter Stalin noch die „Kathedralen des Sozialismus“, wurde in den 60er und 70ern ziemlich langweilig gebaut. Heute dagegen muss wieder alles blinken und blitzen.
"Ehre den heldenhaften Matrosen!"

  • Die Metro arbeitet unheimlich effektiv. Erst sie erlaubt der Stadt die ihr innewohnende Dynamik. Man ist ziemlich schnell am anderen Ende der Stadt (tagsüber schneller als mit dem Auto – da steht man im Stau). In jeden Zug passen Hunderte von Menschen, im Vergleich zu den Deutschen können sie sich richtig quetschen. Trotz der enormen Beanspruchung der Technik geht praktisch nie etwas kaputt, es passiert nie, dass irgendwo ein Teilstück außer Betrieb genommen wird und die Leute auf Busse umsteigen müssten.
Umsteigen - Übergang zwischen zwei Stationen

Alles voll!
  • Fährt man mit der Metro, kann man innerhalb von kurzer Zeit Hunderte von Menschen beobachten. Man bekommt einen guten Querschnitt über die Vielfalt an Menschen, die in dieser Megastadt so leben.
Im Waggon (nur zu 50% gefüllt)
  • Vor allem die Innenstadt ist gut mit der Metro erschlossen. An jeden Punkt im Zentrum kommt man mit der Metro + max.10min Laufen.
Und hinein geht's ins Loch!
  • Mit den Fahrkarten ist es ganz einfach. Man kauft sich ein Ticket für 10 oder 20 Fahrten und muss damit durch eine Schranke, an die man das Ticket einfach ranhält. So lange man nun im Metrosystem drin bleibt, muss man nichts mehr bezahlen. Zur nächsten Station zu fahren ist also genauso teuer wie ans andere Ende der Stadt.
Eine der langen Metrorolltreppen

Übrigens: Unsere Station, „Wychino“, 20 Gehminuten von der Uni entfernt, ist die Station mit dem höchsten Passagieraufkommen im gesamten Netz. 2002 wurden 174.000 Fahrgäste pro Tag gezählt. Kein Wunder – auf dem Stadtplan sind über 60 Buslinien verzeichnet, die hier ihre Endhaltestelle haben.

Busse und Marschrutkas in Wychino

Britisch anmutende Warteschlange

Dienstag, 11. März 2008

Der vergessene Putin

Leider wurde Wladimir Wladimirowitsch gestern abend einfach mitten in Moskau vergessen. So musste er ganz alleine schauen, wie er nach Hause kommt.
Aber seht selbst:

Sonntag, 9. März 2008

Journalismus in Russland: Staat vs. Meinungsfreiheit

Ein Freund, nennen wir ihn Wassilij, arbeitet seit einem guten halben Jahr bei der russischen Wochenzeitung The New Times. Dieses Magazin ist nicht irgendeine Publikation, sondern wurde Anfang 2007 als bewusst oppositionelles Zeitung gegründet. Beim Durchblättern fällt die kritische Haltung gegenüber dem Kreml sofort ins Auge. Auf den zweiten Blick freut man sich außerdem über die praktisch völlige Abwesenheit von Werbung. Kein Zufall – diese für den Leser angenehme Eigenschaft liegt eben in der Positionierung des Blattes: Firmen, die hier für sich werben würden, müssten mit negativen Konsequenzen rechnen. Als nach den ersten Wochen klar war, worüber die Zeitung schreibt, gingen alle Werbekunden möglichst schnell wieder von Bord. Ohne Werbung ist die Finanzierung einer Zeitung jedoch ziemlich schwierig. Weshalb Wassilij weniger verdient als Kollegen bei anderen Publikationen.

Der ökonomische Druck ist jedoch nicht der einzige Weg der Gängelung:
Da darf die Wassilijs Kollegin Natalja Morar, welche im Dezember einen Artikel über die verdeckte Parteienfinanzierung durch den Kreml verfasst hat, nicht mehr ins Land einreisen. Sie hat die moldawische Staatsbürgerschaft und stellt laut Geheimdienst FSB eine Gefährdung für die staatliche Sicherheit dar [erinnert das nicht an die CIA-Verschwörungen in amerikanischen Filmen?]. Sogar nachdem sie ihren russischen Freund geheiratet hat, wird ihr die Einreise verweigert! Familienzusammenführung auf russische Art.
Da lungern ständig zwielichtige Gestalten vor Redaktion herum und jagen den Besuchern Angst ein. Die Polizei fühlt sich nicht zuständig.
Da werden Redakteure auf dem Weg von der Arbeit nach Hause verfolgt. Wassilij berichtete, dass er mittlerweile regelrecht unter Verfolgungswahn leide und aus Nervosität viel mehr rauche.
Da wird Druck auf Kioskbetreiber ausgeübt, die Zeitung weiter nicht zu verkaufen. Oder wie sollte es sonst zu erklären sein, dass ein Kiosk Fachzeitschriften für Taekwondo führt, nicht aber The New Times?

The New Times ist wieder einmal ein Beispiel für den Zustand der Pressefreiheit in Russland. Formal ist alles in Ordnung, juristisch kann niemandem etwas nachgewiesen werden (wie auch, ohne Rechtsstaat), praktisch aber darf in Russland nur das geschrieben werden, was dem Kreml in den Kram passt. Für den Westen behält man noch ein paar Feigenblätter wie Echo Moskwy oder die Nowaja Gaseta, alles andere wird hingegen unterdrückt.

Am 3. März, dem Tag nach den „Präsidentenwahlen“, wurden alle Mitarbeiter der The New Times angerufen. Die unbekannte Stimme am Telefon forderte sie unmissverständlich auf, ihren Job zu kündigen. Sonst würde es ihnen an den Kragen gehen. Für Wassilij hat es gereicht, die psychische Anstrengung hielt er nicht weiter aus. Er hat schweren Herzens gekündigt. Was hilft einem die eigene freie Meinung, wenn man dafür ständig Angst um seine körperliche Unversehrtheit haben muss? Die Meinungsfreiheit muss leider weiter auf „neue Zeiten“ warten...

Floristen im Großeinsatz

Was fällt Euch zum 8. März ein? Die Wahl von Papst Gelasius II. im Jahr 1118? Die Gründung von Eintracht Frankfurt 1899? Oder der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Vietnamkrieg 1965? Stimmt alles. Das ist für Russland aber alles ziemlich schnuppe. Hier ist es der Internationale Frauentag, ursprünglich von der sozialistischen Frauenbewegung um Clara Zetkin begründet, um den Einsatz für gleiche Chancen und Möglichkeiten für Frauen und Männer zu befördern. In Deutschland unbedeutend, ist der 8. März in Russland offizieller Feiertag.

Die Männer und ihre Frauen
In den Tagen davor sind die Floristen im Großeinsatz und machen einen riesigen Umsatz, Männer jagen auf der Suche nach den schönsten Blumen auf den Märkten herum, in jedem Haushalt stapeln sich die Blumen, welche am Arbeitsplatz, in der Schule oder von Freunden verschenkt wurden. Egal wo: Am 8. März wird von den russischen Männern erwartet, dass sie den Frauen in Ihrer Umgebung Aufmerksamkeiten zukommen lassen. Würden sie das nicht tun, dann wäre die Damenwelt sehr enttäuscht. 10% aller Frauen erwarten laut Umfrage zum Frauentag keine Geschenke. Umkehrschluss: 90% erwarten von den Männern etwas zu bekommen. Da kann man ganz schön unter Stress geraten: „Ist meine Freundin mit dem Geschenk zufrieden?“ „Ich brauch noch dringend was für meine Mutter!“ „Hoffentlich habe ich niemanden vergessen.“ Aber wehe, es wird erst am 9. März verschenkt. Dann ist das alles schon nichts mehr wert.

Frauen über den Frauentag
Meine (deutschen) Mitstudentinnen haben eine etwas andere Meinung zum Frauentag [sie sitzen grad neben mir in der Küche]. Friederike hält es für ne „Alibiveranstaltung“. Carolin scheint es so, dass in Russland sich die Aufmerksamkeiten der Männer nur auf einen Tag beschränken: „Wir schenken den Männern 365 Tage im Jahr Liebe, Unterstützung, Geborgenheit. Und was schenken uns die Männer?“ Über kleine Geschenke würde man sich ja eigentlich jeden Tag im Jahr darüber freuen. Susanne gefällt es ebenfalls nicht, dass sich alles nur auf einen Tag konzentriert: „Man soll was verschenken, wann man Lust zu hat, und nicht dann, wann es die Gesellschaft vorgibt. Das ist wie mit dem Valentinstag.“

Unpolitisch
Und leider hat dieser Tag seine politische Bedeutung auch in Russland vollständig verloren. Niemand denkt noch daran, dass Frauen immer noch geringere Löhne erhalten, die Erziehungsaufgaben häufig nur an den Müttern hängenbleiben und sogar der Präsident sich als Macho gibt und dafür geliebt wird.

Also abschaffen?
Sollten die Russen dann also nicht den 8. März abschaffen? Heute früh haben Sergej und ich unsere Mitbewohnerinnen beschenkt. Sie haben sich richtig gefreut – und Schenken macht Spaß. Nein, wenn alle sich freuen, dann lasst uns auch den 8. März 2009 wieder feiern!

Heut war wieder Waschtag

Was ist die Waschmaschine doch für eine tolle Erfindung! Das merkt man immer dann, wenn man gerade wieder einmal seine Klamotten mit der Hand gewaschen hat. Das macht mal gar keinen Spaß!
„Dann musst du dir halt einen Waschsalon suchen!“. Nein, diese Alternative gibt es leider nicht. Trotz knapp 20 Jahren Marktwirtschaft und jeder Menge Kleinunternehmer gab es bis heute niemanden, der in dieser Marktlücke sein Business aufgebaut hat. Dabei haben so viele Russen keine Waschmaschine und müssten einem günstigen Waschsalon mit Selbstbedienung doch die Bude einrennen. Schade.

Samstag, 8. März 2008

Sowjetwitz des Tages IV: Wer war zuerst da?

Ein Jurist, ein Chirurg, ein Bauarbeiter und ein Kommunist streiten sich, wer von ihnen der ältesten Profession nachgehe:
„Als Gott Adam und Eva verurteilte und aus dem Paradies vertrieb“, sagt der Jurist, „da war das der erste juristische Akt!“
„Gestatten sie“, wirft der Chirurg ein, „zuvor schuf Gott Eva aus der Rippe Adams. Das war eine chirurgische Operation!“
„Nichts für ungut“, bemerkt da der Bauarbeiter, „aber ein wenig zuvor hat Gott die Welt geschaffen. Er erbaute sie. Bekanntlich gab es bis dahin nur das Chaos!“
„Und wer schuf das Chaos?“ ruft da feierlich der Kommunist, „natürlich wir, die Kommunisten!“
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Юрист, хирург, строитель и коммунист поспорили, чья профессия древнее.
- Когда бог осудил Адама и Еву на изгнание из рая, - сказал юрист, - то это был юридический акт!
- Позвольте, - сказал хирург, - перед этим бог создал Еву из ребра Адама. Это была хирургическая операция!
- Простите, - сказал строитель, - несколько раньше бог создал мир, он построил его. Как известно, до этого был только хаос!
- А кто создал хаос? - торжествующе воскликнул коммунист. - Конечно, мы - коммунисты!

Kaderschmiede des Komsomol

Jede Uni, so auch die unsrige, ist stolz auf ihre Geschichte. Unsere Uni – das ist die Moskauer Universität für Geisteswissenschaften (MosGU). Diesen Namen trägt sie erst seit 7 Jahren. Gegründet wurde sie nämlich als Hochschule des kommunistischen Jugendverbandes der Sowjetunion, des Komsomol. Der Komsomol besaß zu Sowjetzeiten praktisch das Monopol auf Jugendarbeit und hatte den Auftrag, die jungen Sowjetbürger zu begeisterten Anhängern des Kommunismus machen. Andere Jugendverbände gab es praktisch nicht, mit seinen 30 Millionen Mitgliedern war der Komsomol innerhalb der Sowjetunion nicht nur ein bedeutendes Machtinstrument, sondern selbst ein Machtfaktor.

Funktionärsausbildung
An der Hochschule wurden dann zukünftige Funktionäre für die verschiedenen Organisationsebenen ausgebildet. Als ehemaliger Gremienmensch in der Jugendarbeit müsste ich mir also heimisch vorkommen... ;-) Übrigens waren dadurch früher auch viele internationale Studierende aus den kommunistischen Bruderstaaten da, darunter ein späteterer chinesischer Außenminister, der auf der Absolventenliste auftaucht.

Wandel zur Privatuni
Anders als die Hochschule der Parteimutter KPdSU schaffte es die Uni durch die Zeit nach 1991 (in diesem Jahr wurde der Komsomol verboten) und wurde zu einer Privatuni. Welche Trägerstruktur die Universität heute besitzt oder ob sie vollkommen selbständig ist, habe ich bisher noch nicht herausgefunden.*

Soziale Arbeit
Schon relativ bald nach 1991 konnte man an der Uni „Soziale Arbeit“ studieren – nach Aussagen der Uni selbst gab es hier die erste eigene Fakultät für Soziale Arbeit in ganz Russland. Andere Fachbereiche (Tourismus, Reklame, Internationale Beziehungen) sind seither hinzugekommen, insgesamt studieren hier heute 10.000 Studierende. Von der Größe her ist das im Mittelfeld der unzähligen Universitäten in Moskau.

Folgen der sowjetischen Hochschulbildung
Der Unterricht ist guter russischer Durchschnitt: Wir sind keine Eliteuni, aber auch nicht gerade schlecht. Einigen älteren Professoren merkt man leider die sowjetische Unterrichtstradition an. Gerade in den Geisteswissenschaften war die „wissenschaftlich bewiesene“ Ideologie des Marxismus-Leninismus verheerend: Eigenständiges Denken außerhalb ideologischer Denkschablonen konnte kaum stattfinden; nicht Systematik und Logik standen im Zentrum, sondern die Anpassung an das erwünschte Weltbild. Deshalb haben wir nun manchmal sowjetischen Unterricht minus Kommunismus. Da wird von einem Professor die Wissenschaft an sich gelobt, ohne dass er bei seinen Ausführungen auch nur einmal eine Quelle nennen könnte; da wird jegliche Religion abgelehnt, da diese zu dogmatisch sei („Also ich bin Atheist“), nur um im nächsten Satz zu erläutern, dass eigentlich nur Gott den Frieden in die Welt bringen könne. Aha! Diese schiefe Logik bietet überhaupt keine Angriffsfläche für Kritik – den Profs ist selbst nämlich gar nicht klar, dass ihre Aussagen manchmal weder Hand noch Fuß haben.
Die jüngeren Generationen der Dozenten sind hingegen deutlich besser, offener, systematischer im Vorgehen. Da macht es mehr Spaß, weil man einfach mehr lernt und offen diskutieren kann.

Personenkult
Auch typisch Russland (aber auch in Deutschland ab und zu anzutreffen): Ein bisschen zu viel Personenkult um unseren Rektor Igor Iljinskij. Seine Bücher sind in jedem Hörsaal ausgestellt, überall läuft man Fotos mit seinem Konterfei über den Weg.

Park!
Super ist unser Unicampus: Ein parkähnliches Gelände mit vielen Bäumen und einem Mix von (neo-)klassizistischen und sozrealistischen Gebäuden. Gleich daneben ist außerdem der Park von Kuskowo. Manchmal glaubt man gar nicht, dass man sich in der Megastadt Moskau befindet:

Korpus 1, ein früheres Anwesen von Graf Scheremetjew

Korpus 3 (wunderschöner Sowjet-Style)

Fast alle unsere Veranstaltungen sind in Korpus A

Unser Wohnheim

Sternwarte???

Gedenktafel zu Ehren der Gefallenen im Großen Vaterländischen Krieg (=Zweiter Weltkrieg)


*Nachtrag, 8.3., 17.14 Uhr:
Scheinbar gehört alles unserem Rektor, einschließlich des riesengroßen Territoriums. Das ist bei den Moskauer Grundstückpreisen zig Millionen wert. Wahrscheinlich wurde die Uni, so wie vieles in den 90ern, privatisiert. In diesem Fall zu Gunsten des Rektors. Besonders kritisch daran ist die Abhängigkeit der gesamten Uni von einer Person. Was geschieht, wenn er plötzlich keine Lust mehr hat oder aufgrund einer Krankheit nicht mehr kann?

Mittwoch, 5. März 2008

Sowjetwitz des Tages III: Im Kindergarten

Die Erzieherin im Kindergarten erzählt den Kindern:
"In der Sowjetunion kann sich jeder satt essen und man hat gute Sachen zum Anziehen. In der Sowjetunion leben die Leute in wunderbaren Wohnungen. In der Sowjetunion haben alle Kinder viele schöne Spielsachen..."
Da fängt Wowotschka zu weinen an:
"Ich..., ich..., ich will in die Sowjetunion!..."
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Воспитательница в детском саду говорит детям:
– В Советском Союзе каждый сытно ест и красиво одевается. В Советском Союзе люди живут в прекрасных квартирах. У всех детей в Советском Союзе много красивых игрушек...
Вовочка расплакался:
– Хочу... хочу... я хочу в Советский Союз!..

Kaviar!

Irgendwo habe ich mal einen Fernsehausschnitt gesehen, wo Schirinowskij sich gebrüstet hat, dass die Russen so reich seien, dass sie täglich Kaviar essen würden. Im Westen könne man davon nur träumen.

Um Euch neidisch zu machen - auch ich bin unter die Kaviaresser gegangen. Hat gut geschmeckt:

Sowjetwitz des Tages II: Die Traueranzeige

Jeden Morgen geht Rabinowitsch zum Zeitungskiosk, nimmt sich eine Prawda, schaut auf die erste Seite und legt die Zeitung ungekauft zurück. Nach einigen Tagen fragt ihn der Verkäufer, was er denn suche.
"Eine Traueranzeige."
"Die Traueranzeigen befinden sich aber auf der letzen Seite."
"Die Traueranzeige, auf die ich warte, wird auf der ersten Seite sein!"
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Рабинович каждое утро подходит к газетному киоску, берет "Правду", оглядывает первую страницу и возвращает газету, не купив. Через несколько дней продавец спрашивает, что он ищет.
- Некролог.
- Некрологи помещают на последней странице.
- Некролог, которого я жду, будет на первой!

Dienstag, 4. März 2008

einfach so

Manchmal hat mein einfach gute Laune, weil man in so einer tollen Stadt wie Moskau sein darf. Leckeres Essen und nette Nachbarn haben heute abend ein Übriges getan, dass ich guter Laune bin.

Montag, 3. März 2008

"Prinzessinnenbad" in Moskau

Immer wieder stellt man in Russland kulturelle Unterschiede zwischen sich selbst und vielen Russen fest. Warum ist das so? Dazu eine kleine Geschichte.

Am Freitag war ich im Kino. Ein Bekannter hatte mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle, er würde mit Freunden zu einem Kinofestival gehen und hätte noch ein Ticket übrig. Nun gut, ich kam mit.
Es stellte sich heraus: Es war das deutsch-französische Filmfestival, und es kam ein deutscher Film, Prinzessinnenbad. Ein Dokumentarfilm über drei 15-jährige Mädchen aus Berlin-Kreuzberg und ihren Weg zum Erwachsen Werden.

Der Film war ziemlich authentisch. Nichts war gestellt, vielmehr scheuten sich die Mädels sich kein bisschen vor der Kamera. So sprachen sie über Schwule und die Benutzung von Vibratoren, erzählten von ihren Erfahrungen mit illegalen Drogen oder addierten großzügig die Zahl ihrer bisherigen Männer. Derbe Ausdrücke verwendeten sie in jedem ersten bis zweiten Satz. Sie gaben also nicht gerade das Bild ab, dass man sich von einem wohlerzogenen Jugendlichen aus gutem Hause so vorstellt.

Mir hat der Film super gefallen - ich fand es superspannend, in die Lebenswelt von anderen Menschen reinschauen zu können, von ihren Träumen, Hoffnungen und Erwartungen an das Leben etwas mitzukriegen. Selbst wenn ich mit manchen Sachen so ziemliche Schwierigkeiten habe - aber das ist in dem Fall ja völlig egal.
Den anderen Russen, mit denen ich im Kino war, besonders den Mädels, hat der Film überhaupt nicht gepasst. Während der Szenen, wo die Protagonistinnen offen über Themen sprachen, die in Russland tabu sind, merkte man, wie meine Nachbarinnen immer unruhiger wurden. Ihnen war es unangenehm, vielleicht sogar regelrecht peinlich, so was anzuschauen. Der Film, der außerhalb ihrer eigenen Lebenswelt lag, hatte so gar keine Chance, ihnen zu gefallen.

Vielleicht ist ist das Folgende eine gute Erklärung:
In Russland (aber nicht nur hier!) gibt es viele Leute, die nicht über den Schatten ihres eigenen Denkens springen können. Sie können nur schwer begreifen, dass es Dinge gibt, die jenseits ihrer Vorstellung liegen und trotzdem gelebt werden können. OK, so geht es ja fast jedem. Aber was hier oft fehlt, ist das Bemühen, dieses Andere oder Fremde zu verstehen. In der Sowjetunion gab es ja nur wenig Kontakt zu Ausländern, die Gesellschaft bestand offiziell aus Gleichen und hatte keine innere Differenzierung. Stattdessen wurde in den Medien und in der Kunst ein moralisch hochwertiges Bild des idealen Sowetbürgers projiziert: So soll er leben und sich verhalten, und nicht anders! Alternative Lebensentwürfe? Fehlanzeige. Dieses Bild vom Einzelnen und der Gesellschaft wirkt auch heute noch fort.

Ich glaube, dies ist einer der Gründe für die teils sehr negative Wahrnehmung der westlichen Gesellschaft in Russland: Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass andere Leute anders leben. Und interessiert sich deshalb auch nicht dafür, sondern lehnt es ab. Austausch und Verständnis wachsen so jedoch nicht.

Gleichzeitig ist dies aber nicht ein genuin russisches Phänomen, sondern ein Problem fast jeder Gesellschaft mit sich selbst: Wenn verschiedene Milieus so voneinander abgekapselt sind, dass alle anderen Lebenswelten unverständlich werden und abgelehnt werden. Das ist in Russland so, und es ist in Deutschland so.

Fazit:
Am Freitag abend habe ich mal wieder gelernt, wie wichtig es ist, dass ganz verschiedene Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund kommunizieren und versuchen, einander besser zu verstehen. Sei es international zwischen Staaten, horizontal zwischen Ethnien oder vertikal zwischen gesellschaftlichen Schichten (Klassen?). Dieses zu fördern und zu unterstützen ist eine Aufgabe, die nie zu Ende geht.

Sowjetwitz des Tages: Die Generalsekretäre

Lenin hat gezeigt, wie man regiert. Stalin hat gezeigt, wie man regieren sollte. Chruschtschow hat gezeigt, dass jeder Idiot regieren kann. Breschnew hat gezeigt, dass nicht jeder Idiot regieren kann.
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Ленин показал, как можно управлять. Сталин показал, как нужно управлять. Хрущев показал, что всякий дурак может управлять. Брежнев показал, что не всякий дурак может управлять.

Russendisko

Auf die "Schwarzen Augen" sind unsere Mädels neulich total abgegangen:

Das sieht dann so aus:

Akklamation des Nachfolgers

Gestern waren ja die „Präsidentschaftswahlen“ in Russland. Man könnte auch schreiben, Dmitrij Medwedew wurde als Nachfolger Putins akklamiert. Im offiziellen Sprachgebrauch war jedenfalls alles demokratisch.

Wahlkampf der Pappkameraden

Ein Wahlkampf fand mit Ausnahme von ein paar Fernsehdiskussionen (z.B. hier - man beachte die letzte Minute) der Pappkameraden Bogdanow, Schirinowskij und Sjuganow nicht statt. Medwedew ging erst gar nicht hin. Er ließ verlauten, für ihn gäbe es wichtigere Dinge zu tun als herumzudiskutieren, vielmehr müsse er konkrete Arbeit zum Wohl des Landes leisten. Immer wieder hat man den Eindruck, dass man hier mit der Demokratie wie in der Weimarer Republik umgeht: Dort war für viele Konservative der Reichstag auch nur eine unnütze „Schwatzbude“. Im Russland der Gegenwart sind Auseinandersetzungen um politische Konzepte von vielen verpöhnt und werden vom Kreml unterdrückt. Dies könnte ja die Herrschenden und ihre Politik in Frage stellen.

Langeweile

Sowieso war der Wahlkampf langweilig. In ganz Moskau gab es genau 1 Wahlplakat zu entdecken: Vorgänger und Nachfolger vereint auf einem riesigen Plakat in Landesfarben. Die anderen Kandidaten tauchten nicht auf, auch Wahlkampfveranstaltungen gab es praktisch nicht. Für jeden politik-interessierten Menschen war das wirklich tote Hose hier.


Wahlwerbung ohne Kandidaten

Verpassen konnte man die Wahl trotzdem nicht. Denn immerhin gibt es viele Plakate mit offiziellen Wahlankündigungen, auf manchen war auch der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow zu bewundern: „Я голосую за будущее России“ („Ich stimme für die Zukunft Russlands“). Achja, und neulich kam noch eine Nachricht auf’s Handy: „2 марта приходите на выборы Президенты! Ваш голос важен для страны!!!“ („Gehen sie am 2. März zu den Präsidentschaftswahlen! Ihre Stimme ist wichtig für das Land!!!“). War das nicht patriotisch von meinem Mobilfunkunternehmen? Nutzer anderer Handynetze bekamen übrigens wundersamerweise die exakt gleiche Nachricht.


Was tun?

Viele meiner Moskauer Bekannten und Freunde habe ich gefragt, ob bzw. was sie denn wählen würden. Praktisch alle waren unzufrieden damit, wie die Machtübergabe verläuft. Ein Teil wollte deshalb gar nicht bei der Wahl (man könne ja eh nichts tun), andere wollten den Wahlzettel ungültig machen (z.B. zerreißen), andere wollten für Sjuganow oder Bogdanow stimmen. Medwedew wollte kein einziger ankreuzen!

Ergebnis

Das Ergebnis war ja voraussehbar und deshalb höchst langweilig. Immerhin hat Medwedew diesmal in Tschetschenien nur 88,7% erhalten, und keine 99,4% wie im Dezember die Monopolpartei "Edinaja Rossija". Interessant sind einzig die "schwarzen Wahltechnologien" (woanders hieße das Wahlverstoß). Diese dürften zwar nicht so relevant sein, dass sie zu einem anderen Ausgang der Wahl geführt hätten (wer hätte es auch werden sollen?). Aber sie helfen doch, die Wahlbeteiligung künstlich zu erhöhen und so die Legitimation des Präsidenten zu erhöhen.

Wahltechnologien

Wundersame Wählervermehrung
In der Republik Inguschetien (gleich neben Tschetschenien) kamen Wahlbeobachter auf die Zahl von 5.742 Personen, die gewählt haben. Dies entspricht einer Wahlbeteiligung von 3,5%. Das offizielle Ergebnis kommt hingegen auf 153.122 abgegebene Stimmen, also 92,3% der gültigen Stimmen.

Für Medwedew geht immer
Verschiedene „Aktivisten“ (so heißt das hier) der liberalen Partei Jabloko aus Moskau haben ein Experiment gemacht. Sie gingen ins Wahllokal, und fragten nach, ob sie denn nicht wählen könnten. Sie kämen aus Murmansk (hinter dem Polarkreis) und wollten doch unbedingt Medwedew wählen. Ob das denn ginge. Ohne Eintragung im Wählerverzeichnis ja eigentlich nicht möglich. In 5 von 7 Wahllokalen erhielten sie trotzdem einen Stimmzettel – hätten also 5x wählen können. In Petersburg waren sie sogar noch erfolgreicher: Den Stimmzettel gab es in allen 7 Wahllokalen.

Der Klassiker: Wahlbeteiligung von Studierenden
Wer nicht zur Wahl geht, der muss mit Problemen rechnen. Es gibt ja schließlich viele Personen, die gerne einen Wohnheimsplatz hätten, teilt einem die Wohnheimsleitung mit. Außerdem warnen fürsorgliche Pädagogen, politische Inaktivität könne zu schlechten Noten führen.

Die fortschrittliche Wahlgesetzgebung
Der Leiter der Wahlkommission Wladimir Tschurow meint, dass Russland eines der fortschrittlichsten Wahlgesetze überhaupt hat. Dies sei auch Meinung vieler Experten. Wenn Fortschritt bedeutet, dass man vom Zentrum aus alles Ungebetene bei der Wahl verhindern kann (z.B. über sehr hohe Hürden für das passive Wahlrecht), dann hat er sogar recht. So ist es in Russland sehr schwer, die geforderten 2 Millionen Unterschriften für eine Kandidatur einzusammeln. Noch einfacher ist es, diese als Fälschung gelten zu lassen. Lustig ist auch die Regel: Wer für das Amt des Präsidenten kandidiert, muss mindestens seit 10 Jahren im Land leben. Wer also mal 1 Jahr im Ausland war, der darf nicht mehr. Ebenfalls nicht kandidieren dürfen Personen, die Staatsangehörige zweier Staaten sind. Ein Russe mit zweiter Staatsbürgerschaft wird in Russland also seiner staatsbürgerlichen Rechte beschnitten.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
„Bisher haben wir keine bewiesenen Fakten [über Verstöße]“, ließ Wladimir Tschurow verlauten. Wer nichts sehen will, der sieht auch nix. Das hat er im Übrigen mit den Wahlbeobachtern aus den GUS-Staaten gemein, für die der Wahlkampf allen demokratischen Bedingungen entsprach.

Und was ist die Moral von der Geschicht? Zynismus geht immer: Hoch lebe das Machtmonopol der Bürokratie!